Am 19.4. zeigt das Kinoptikum

Datum Home
Fr. 18:00
ALL OF US STRANGERS  OmU
Family Entertainment – GB/USA 2023, 105 Min.
Regie: Andrew Haigh
mit Andrew Scott, Paul Mescal, Jamie Bell
Eine wunderbare Reise in die Zwischenwelten des Daseins
Trailer zu ALL OF US STRANGERS
Weiterlesen... In einem Appartementhaus am Rand von London lebt Adam (Andrew Scott), ein Drehbuchautor, eine einsame Seele. Fast allein scheint Adam in dem Haus zu leben, nur ein anderes Fenster ist bisweilen erleuchtet. Dort wohnt Harry (Paul Mescal), der bald mit einer Flasche Whisky vor Adams Tür steht, einen Drink anbietet – und mehr.
Doch Adam lebt in seiner eigenen Welt, beginnt mit der Angabe „Außenaufnahme, Haus in einem Vorort, 1987“ ein Drehbuch zu schreiben, doch eine Schreibblockade verhindert weiteres. Am Abend driftet er durch die Stadt, fährt mit der S-Bahn, landet auf einem Rummel, sieht auf einem Feld einen etwas jüngeren Mann mit Lederjacke. Wie eine Cruising-Szene wirkt das für einen Moment, Adam folgt dem Mann nach Hause – und landet bei seinen Eltern.
Jünger als er sind die Beiden (Jamie Bell und Claire Foy), denn sie sind schon lange tot, gestorben bei einem Autounfall als Adam erst elf Jahre jung war, als er sein Coming Out noch vor sich hatte, auch weil damals, 1987, die Welt noch eine andere, homophobere war. Manches kann er jetzt nachholen, erzählt seinen Eltern von seinem Leben, vom Wandel der Zeit, von seiner beginnenden Affäre mit Harry, eine intensive, innige Beziehung. Zwischen Leben und Tod bewegt sich Adam, zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, zwischen Erinnerungen und unerwarteten Chancen.
Vom ersten Moment an, wenn am fernen Horizont die Sonne aufgeht, während in der Scheibe des Appartement das Gesicht von Adam zu ahnen ist, etabliert Adam Haigh eine traumhafte, einnehmende Stimmung. Ganz selbstverständlich wird aus dem deutlich in der Gegenwart angesiedelten Film eine Geistergeschichte, ganz beiläufig und ohne Erklärung laufen die Begegnungen zwischen Adam und seinen Eltern ab, die man als Tagtraum eines Drehbuchautors verstehen mag, der sich kraft seiner Phantasie verpasste Gelegenheiten herbei schreibt. Wunderbare Momente finden so statt, ganz selbstverständlich liegt einmal der inzwischen 45jährige Adam mit seinen etwas jüngeren Eltern im Bett als wäre er noch der elfjährige, der damals seinen Eltern nichts von seinen Gefühlen berichten konnte.
Ohne Nostalgie evoziert Andrew Haigh die späten 80er Jahre, als die Aids-Pandemie ihrem Höhepunkt entgegenging, als Adam in der Schule gemobbt wurde, ohne dass er von seinem Vater beschützt werden konnte.
Viel hat sich seitdem verändert, doch mit sich im Reinen ist Adam nicht. Ganz anders als der deutlich jüngere Harry, der aber mit ganz eigenen Dämonen zu kämpfen hat. Traumhaft schön und tragisch läuft „All of us Strangers“ auf ein unerwartetes, überraschendes und spektakulär emotionales Ende zu, wo mit Frankie goes to Hollywoods 80er Jahre Power-Ballade „The Power of Love“ ein Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschlagen wird. Ob sich Adam und Harry noch in dem Ketamin-Rausch befinden, auf dem sich gerade Adam zu diesem Zeitpunkt schon seit längerem befand oder ob die finalen Bilder dieses außergewöhnlichen Films in der Realität spielen, darf jeder Zuschauer selbst entscheiden. So oder so: Am Ende von „All of us Strangers“ weiß man, dass man einen der schönsten Filme des Kinojahres gesehen hat.
(programmkino.de)
Ausblenden

Fr. 20:30
ANATOMIE EINES FALLS  OmU
Family EntertainmentAnatomie d´une chute – F 2023, 151 Min.
Regie: Justine Triet
mit Sandra Hüller, Swann Arlaud, Milo Machado Graner
Und nochmals die Hüller-Festspiele mit Szenen einer Ehe
Trailer zu ANATOMIE EINES FALLS
Weiterlesen... Sie muss erst etwas erleben, bevor sie schreiben kann, sagt die Schriftstellerin Sandra (Sandra Hüller) zu der jungen Studentin, die sie für ihre Doktorarbeit interviewt. In einem abgelegenen Chalet in den französischen Alpen wohnt Sandra, die eigentlich aus Deutschland stammt, wegen ihres Mannes aber nach Frankreich gezogen ist und die Sprache gut beherrscht. Doch in der Ehe mit Samuel (Samuel Theis) scheint es zu kriseln, offenbar um das Interview zu stören lässt Samuel laute Musik laufen.
Kurz nachdem die Studentin das Haus verlassen hat wird Samuel tot aufgefunden, augenscheinlich aus der dritten Etage des Chalets gestürzt, ob durch Selbstmord oder Fremdeinwirkung bleibt offen. Die Ermittlungen der Polizei geben kein klares Bild, das Fehlen von eindeutigen Beweisen lässt auch Sandra als Tatverdächtige möglich werden. Zusammen mit ihrem Anwalt Vincent (Swann Arlaud) bereitet sie sich auf eine mögliche Anklage vor und so kommt es auch: Die Autorin steht wegen Mord vor Gericht und auch ihr Sohn Daniel (Milo Machado-Graner) muss als Zeuge aussagen.
Weite Teile von Justine Triets „Anatomy of a Fall“ spielen vor Gericht, minutiös wird die langwierige Verhandlung geschildert, die Aussagen von Sandra, Daniel und anderen Zeugen. Doch auch wenn der Titel deutlich auf Otto Premingers Klassiker „Anatomy of a Murder“ anspielt hat Triet anderes im Sinn als einen bloßen Gerichtsfilm. Sie erzählt von der schwierigen, oft nicht zu beantwortenden Suche nach der Wahrheit, nach Fakten, vom meist zum Scheitern verurteilten Versuch, sich anhand von wenigen Indizien, versprengten Aussagen, Tonbandaufzeichnungen und anderen Hinweisen, ein klares Bild zu machen.
Unweigerlich muss man hier an #metoo denken, an die unzähligen Fälle, in denen in den letzten Jahren ein Mensch unter Verdacht geriet und schnell auf Grund weniger Hinweise, einzelnen Zeugenaussagen von der öffentlichen Meinung verurteilt wurde, mal zu Recht, mal aber auch zu Unrecht.
In „Anatomy of a Fall“ ist es nun interessanterweise eine Frau, deren Ambivalenzen sie verdächtig macht, die aber vor allem eine komplexe Person ist, die nicht einfach auf einen klaren Nenner zu bringen ist. Allein die Sprache macht es schwierig: Als Deutsche in einem fremden Land, gut Französisch sprechend, aber vor Gericht dann doch auf das universelle Englisch zurückgreifend, was allerdings für keinen der Beteiligten die Muttersprache ist. Lost in Translation sozusagen, was erst recht für manche Zeugenaussagen gilt, aber auch für scheinbar objektive Tonbandaufnahmen. Einen Streit zwischen dem Paar hatte Samuel insgeheim aufgenommen, der nun als Beweis der Anklage dient. Doch wie eindeutig ist das, was man da hört eigentlich? Anfangs unterlegt Triet die Tonbandaufnahme noch mit den Bildern des Streites, später springt sie in den Gerichtssaal zurück, so dass man nur hört, aber keine Bilder mehr sieht. Und wenn dann Geschirr zerbricht, Dinge zu Boden fallen muss man sich fragen, was denn da genau passiert ist und letztendlich zum Schluss kommen, dass man es nicht genau weiß.
Das mag unbefriedigend sein, gerade vor Gericht, gerade in der Realität, wenn es um #metoo-Vorwürfe geht, aber gerade in solchen Fällen darf sich eine demokratische Gesellschaft glücklich schätzen, dass die Unschuldsvermutung gilt. In diesem Sinne ist es nur konsequent, wie Justine Triet ihren Film enden lässt, wie sie sich einer klaren Antwort in Bezug auf Sandras Schuld entzieht. In der Rolle der undurchschaubaren Schriftstellerin brilliert Sandra Hüller, die zum zweiten Mal mit Triet zusammenarbeitete und mit ihrer Darstellung stark dazu beigetragen haben dürfte, dass ihre Regisseurin als erst dritte Frau nach Jane Campion und Julia Ducournau mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde.(programmkino.de)
Ausblenden