Heute zeigt das Kinoptikum

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Sa. 18:00
COLONOS  span. OmU
Los Colonos – ARG/CL/D 2023, 97 Min.
Regie: Felipe Gálvez Haberle
mit Mark Stanley, Camilo Arancibia, Benjamin Westfall
Der Zorn Gottes: Ein faszinierender, nebelverhangener Western aus der blutigen Kolonisierungszeit Chiles
Trailer zu COLONOS
Weiterlesen... Feuerland ist der Name des Archipels an der Südspitze Südamerikas, gebildet aus einer sehr großen Insel sowie unzähligen kleinen, vom Festland getrennt durch die Magellanstraße und seit 1881 aufgeteilt zwischen Chile und Argentinien. Hier, genauer: auf der Hauptinsel, sind 1901 drei Männer unterwegs, die einander nicht leiden können.
Bill (Benjamín Westfall) ist ein großmäuliger Cowboy aus Texas, ein Söldner, erprobt im Kampf gegen die Ureinwohner Nordamerikas. Der Mestize Segundo (Camilo Arancibia) wird, gegen Bills Willen, mitgenommen, weil er gut schießen kann. Alexander MacLennan (Mark Stanley), der ihn rekrutiert, kommt aus Schottland, hat in der englischen Marine gedient und gibt sich als Leutnant aus, obwohl er nur Gefreiter ist. Im Auftrag des Großgrundbesitzers José Menéndez (Alfredo Castro) suchen die drei einen sicheren Weg, auf dem dessen Schafherden zum Atlantik getrieben werden können. Unterwegs begegnen sie einem Fähnlein Soldaten, das einen Landvermesser begleitet, der den Grenzverlauf feststellt; es kommt zu sportlichem Wettstreit. Etwas später, da haben sie bereits die Küste erreicht, stoßen sie auf eine Truppe Trapper, die von einem schottischen Oberst angeführt wird, der sich als schwer derangiert erweist; diesmal ist der Wettstreit kein sportlicher. Dazwischen metzeln sie ein kleines Häufchen indigener Nomaden vom Volk der Selk´nam nieder; Segundo macht dabei nicht mit, kann sich aber auch nicht zur Gegenwehr entschließen. Er hätte ohnehin keine Chance.
»Colonos« ist das Langfilmdebüt des seit einigen Jahren in Paris lebenden chilenischen Drehbuchautors und Cutters Felipe Gálvez Haberle, uraufgeführt im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes in der Sektion »Un Certain Regard«. Der Film ist ein Western aus Lateinamerika, gedreht im Normalformat, das auch das Format des klassischen US-amerikanischen Western ist – mit dem er zudem das Motiv der gewaltsamen Landnahme gemeinsam hat; die wiederum ist eng verknüpft mit dem Massenmord an jenen Völkern, die den vorgeblich zu zivilisierenden Raum ursprünglich bewohnen. »Colonos« adressiert ein Kapitel der Geschichte Chiles, das von offizieller Seite mit ebensolcher Hartnäckigkeit gemieden wird wie die Verbrechen der Militärdiktatur unter Pinochet.
Wobei Haberle im Verlauf der exemplarisch entworfenen Handlung historisch verbürgtes Personal auftreten lässt: José Menéndez (1846–1918) beispielsweise, dessen wirtschaftliche Interessen im Film den Mordauftrag motivieren, denn die Selk´nam betrachten seine Schafe, »das weiße Gold«, als Allgemeingut und jagen sie. Ein Menéndez-Denkmal steht heute noch in Punta Arenas. Auch Alexander MacLennan (1871–1917) ist eine historische Figur. Er soll sich bei seinen Vernichtungsfeldzügen durch besonderen sadistischen Einfallsreichtum ausgezeichnet haben und ging dafür nicht nur als »Red Pig« in die (Kolonial-)Geschichte ein, sondern auch als Namensgeber einiger chilenischer Straßen. Im Schlusskapitel des Films begegnen wir zudem einem Wiedergänger des Richters Waldo Seguel, der seinerzeit im Auftrag von Präsident Pedro Montt die Vorgänge im Nachgang untersuchte und zahlreiche Zeugenaussagen zusammentrug – woraus allerdings, wenig überraschend, nichts weiter folgte.
All dies zu wissen ist hilfreich, aber nicht Bedingung, um in »Colonos« ein herausragend komponiertes filmisches Werk zu sehen. Haberle nutzt die Möglichkeiten eines Genres, in dem herzlich gern gelogen wird, um der Wahrheit Geltung zu verschaffen. Aus dem Zusammenwirken von Harry Allouches treibender, percussionsfundierter Musik, Simone D´Arcangelos gesättigten Bildern trüber Landschaften und Matthieu Taponiers energischer Montage entwickelt sich ein Sog. Er führt vom Abgrund in die Hölle, vom Morallosen ins Unmenschliche, bildet den Taumel der Barbarei ab. Am Ende blicken wir in das Gesicht einer Überlebenden, den Tatsachen ins Auge. (epd-film)
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Sa. 20:30
STOP MAKING SENSE  OV
MonatsDoku – USA 1984/2024, 88 Min.
Regie: Jonathan Demme
mit David Byrne, Tina Weymouth, Chris Frantz
Die ganz und gar nicht sinnlose Wiederkehr der bahnbrechenden Bühnenperformance mit den „Talking Heads“
Trailer zu STOP MAKING SENSE
Weiterlesen... Rund vierzig Jahre ist es her, da betritt ein Musiker in einem voluminösen hellen Anzug mit seiner Gitarre die Bühne des legendären Pantages Theatres in Los Angeles, gibt vor, einen urigen Kassettenrecorder mit Rhythmusklängen anzustellen und beginnt mit puristischer Intensität zu singen: „I can’t seem to face up to the facts, I’m tense and nervous and I can’t relax …“ – dieser wohl inszenierte Auftritt bildet den Auftakt einer der letzten Live Performances der US-amerikanischen Band Talking Heads, die von Regisseur Jonathan Demme in den markanten Konzertfilm „Stop Making Sense“ gebannt wurden. 2024 kommt dieser erneut ins Kino.
Nach der beeindruckenden Solo-Darbietung David Byrnes von Psycho Killer treten allmählich auch die Bassistin Tina Weymouth, Schlagzeuger Chris Frantz sowie Jerry Harrison an Keyboard und Gitarre als Protagonisten der Talking Heads auf und starten effektvoll durch in eine Show mit außergewöhnlicher Lichtgestaltung, die sich in ihrer prozesshaften Dramaturgie zu einem großartigen Event der professionellen, musikalisch wie mimisch mitreißenden Selbstdarstellung einer Band auswächst, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ein prätentiöses Porträt auswirft, das als brillantes Bühnenstück in die Musikgeschichte eingeht.
Wie akribisch kalkuliert und auf die Essenz der persönlichen Präsenz der Musiker fokussiert sich dieser seinerzeit avantgardistische Konzertfilm gestaltet, der nun erstmals auf Blu-ray bei Arthaus erscheint, bezeugt auch das ausführliche Bonusmaterial dieser 30th Anniversary Edition mit dem Audiokommentar der Talking Heads und des Regisseurs Jonathan Demme, einem monologischen Interview David Byrnes und einer Pressekonferenz mit der später verzwisteten Band, die 1999 im Rahmen des San Francisco International Film Festivals stattfand, wo der Film auch seine Premiere feierte, der als Beste Dokumentation mit dem Preis der National Society of Film Critics prämiert wurde. Als zusätzliche Songs werden hier Cities, Big Business und I Zimbra präsentiert, so dass insgesamt neunzehn Stücke der Talking Heads flankiert von emotional und mit Esprit gesteuertem Körpereinsatz der Musiker Eingang in diese Edition finden, die äußerst ansprechend dazu einlädt, das Phänomen Stop Making Sense einerseits intensiv zu erleben, wie darüber hinaus hintergründlich zu rekonstruieren. Dabei entsteht das lebhafte, dynamische Bild eines Projektes mit einer ganz eigenen, ausgeklügelten Geschichte und einem faszinierenden Resultat, das durch seine unmittelbare Erlebnisfähigkeit des Auftritts der Band besicht, deren Live-Publikum bis zum Ende der Show ausgeblendet bleibt. David Byrne stilisiert sich hier mit elegantem bis ekstatischem Ausdruck und Einsatz zu einem Magier der Musik herauf, der seine Songs durchlebt und durchleidet, dezent mit seinem Publikum spielt und sich sogar zwischenzeitlich von Bühne und Band entfernt, die von Musikern wie Alex Weir, Ednah Holt, Lynn Mabry und Bernie Worrell begleitet wird.
Technisch innovativ als erster Film komplett mit digitaler Audiotechnik ausgesattet gelingt Stop Making Sense das komplexe Kunststück, mit engagierter Präzision die betörende Atmosphäre eines geradezu erzählerischen Flusses in Gang zu setzen, dessen Geschichten sich klanglich und kommunikativ eingebunden als empfindungsreiche Episoden ereignen, die von existenziellen Aspekten wie Identität und Verlorenheit, aber auch von Momenten der Erfüllung tönen. Die puristische Poesie, die sich vor den Augen ihres Publikums scheinbar spontan entwickelt, vermag es mit lässiger Leichtigkeit, akustisch wie visuell zu fesseln, und ihre Analyse schmälert keineswegs ihre inspirierende Überzeugungskraft. (kino-zeit.de)
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