Heute zeigt das Kinoptikum

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Fr. 18:00
LIKE A COMPLETE UNKNOWN  OmU
A Complete Unknown – USA 2024, 140 Min.
Regie: James Mangold
mit Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning
Der Aufstieg des jungen Robert Zimmermann vom kauzigen Tramp zum rollenden Stein der Folk-Szene in den frühen 60ies
Trailer zu LIKE A COMPLETE UNKNOWN
Weiterlesen... „Timmy ist ein brillanter Schauspieler, deshalb bin ich mir sicher, dass er voll glaubwürdig sein wird – als ich. Oder als mein jüngeres Ich. Oder mein irgendwie anderes Ich“, schwärmt Robert Allen Zimmerman alias Bob Dylan auf „X“. Da der mittlerweile 83-Jährige für sein minimales Mitteilungsbedürfnis bekannt ist, zählen solch lobende Worte umso mehr.
Anno 1961 kommt der Teenager aus Minnesota in New York City an. Im Gepäck hat dieser „Complete Unknown“ seine Gitarre sowie ziemlich große Träume von einer Karriere als Musiker. Die Folkmusik-Legenden Pete Seeger und Woody Guthrie erkennen schnell das außergewöhnliche Talent des 19-Jährigen. Bei Frauen erregt der attraktive Junge mit der Mundharmonika gleichfalls Aufmerksamkeit. Mit der selbstbewussten Sylvie Russo beginnt eine erste Lovestory. Als sie verreist, schlägt die Stunde für Joan Baez. Wenn Bob, am Morgen danach, verpennt und in Boxershorts, seine Gitarre schnappt und ihr das noch unfertige „Blowin‘ in the Wind“ vorsingt, sorgt das für großartige Mittendrin-statt-nur-dabei-Qualitäten, die eine Biopic braucht, um lebendig zu sein. Ein paar Mal blickt Chalamet dabei seine berühmte Kollegin an, nur wenige Sekunden. Augenblicke, die Poesie und Coolness charismatisch vereinen. Die selbstgedrehte Kippe danach fehlt da natürlich auch nicht. Die romantische Idylle hat indes ihr Haltbarkeitsdatum. Gemeinsame Auftritte mit Joan Baez sorgen alsbald für allerlei Eifersucht sowie emotionale Turbulenzen. Das fröhliche Liebeskarussell passt zur kulturellen Aufbruchstimmung in den USA. Die West Village avanciert zum perfekten Karrieresprungbrett für kreative Künstler, die Visionen verfolgen und Mut für Neues haben.
Die Wege zum Ruhm lassen für Dylan nicht lange auf sich warten. Ein erster Scheck über 10.000 Dollar sowie ein Sack voller Fanpost warten in der Plattenfirma auf den verblüfften Star. Beim spontanen Lässigkeits-Dialog-Duell mit Johnny Cash geht er souverän als Sieger hervor, bei den Fans und Groupies bleibt freilich oft nur die Flucht. Musikalisch wird Dylan gleichfalls die Flucht antreten. Beim Newport Folk Festival 1965 verabschiedet er sich vom Folk und spielt zum Schrecken der Hippies lieber Rock. Statt den Folk-Messias zu geben, setzt er die legendäre Sonnenbrille auf und macht, Widdewiddewitt, was ihm gefällt. Judas-Rufe sind die Quittung.
Mit „Walk the Line“ hat Regisseur James Mangold vor 20 Jahren Johnny Cash ein cineastisches Denkmal gesetzt. Das gelingt ihm nun abermals perfekt mit dem Porträt der Singer-Songwriter Ikone Bob Dylan. Sehr klug beschränkt er sich auf die ersten Jahre, was das Porträt umso intensiver macht. Und spannender als die genretypischen Standard-Kapitel vom Aufstieg, dem Ausverkauf der Ideale, den Drogen, dem Fall, der Läuterung. Vermieden wird zudem die zweite klassische Biopic-Falle, das Objekt der Begierde mit Heiligschein und Weichzeichner zu präsentieren. Keine PR-Märchen, sondern ein Mensch und Künstler mit Ecken und Kanten.
Dass der Maestro seinen Nobelpreis für Literatur nicht persönlich entgegengenommen hat, genügt als amüsante Fußnote im Abspann. Die Annäherung an ein Musik-Genie funktioniert am besten mit Minimalismus und viel Musik. Fast klar die Antwort auf die Frage, ob er Gott sei: „Wie oft noch? Ja.“ Für Chalamet gilt das gleichermaßen. Mit einer gewagten Pfirsich-Szene schrieb er in „Call Me by Your Name“ einst Filmgeschichte. Beim Oscar hat es damals nur für eine Nominierung gereicht. Mit dieser hypnotischen Dylan-Darbietung sollte es diesmal auf das Siegertreppchen reichen. (programmkino.de)
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Fr. 20:30
DAS MÄDCHEN MIT DER NADEL  OmU
Cinema ObscurePigen med nålen – DK/PL/S 2024, 123 Min.
Regie: Magnus von Horn
mit Vic Carmen Sonne, Trine Dyrholm, Besir Zeciri
Eine düstere Schauermär mit Monstern aus Fleisch und Blut
Trailer zu DAS MÄDCHEN MIT DER NADEL
Weiterlesen... Mit der Nadel versucht sich Karoline (Vic Carmen Sonne) im Kopenhagen des frühen 20. Jahrhunderts über Wasser zu halten: Sie arbeitet in einer Kleiderfabrik an der Nähmaschine, ihr Mann scheint auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges verschollen, doch eine Witwenrente bekommt sie ohne Todesurkunde nicht. Der anfangs freundliche Fabrikbesitzer Jørgen (Joachim Fjelstrup) macht ihr schöne Augen, doch als Karoline schwanger wird, lässt er sie fallen und entlässt sie.
Nun setzt Karoline eine Nadel zu anderem Zweck ein und versucht ihr Ungeborenes abzutreiben. Bevor sie nicht nur ihrem Kind sondern auch sich selbst Schaden zufügen kann, wird sie von Dagmar (Trine Dyrholm) aufgehalten, die ihr ein Angebot macht: Nach der Geburt könnte das Baby von liebenden Menschen adoptiert werden, Karolines Gewissen wäre dadurch nicht so sehr belastet.
Und so wird es gemacht, doch vor allem wird Karoline Aushilfe in Dagmars Hauptbeschäftigung, der Fassade ihres (scheinbar) noblen Tuns: Einem kleinen Bonbongeschäft. Hier lernt Karoline auch das kleine Mädchen Erena (Avo Knox Martin) kennen, die Dagmar als ihre Tochter vorstellt. Doch nicht nur daran beginnt Karoline bald zu zweifeln…
Lose basiert „Das Mädchen mit der Nadel“ auf dem Fall der dänischen Serienmörderin Dagmar Overby, die Anfang des 20. Jahrhunderts eine illegale Adoptionsagentur gründete. Zu einer Zeit, als unverheiratete Mütter wie Ausgestoßene behandelt und von der Gesellschaft verachtet wurden. In passend düsterem schwarz-weiß zeigt Magnus von Horn diese Welt, hat in seiner Wahlheimat Polen heruntergekommene Sets bauen lassen, die das Leben am Rand des Existenzminimums überzeugend andeuten.
Man mag es bedauern, dass diese Geschichte offenbar nicht genug war, von Horn zusätzlich die Figur der Karoline erfinden musste, die mit der Welt der Serienmörderin konfrontiert wird und einen am Ende arg versöhnlichen Ausweg findet. Vor allem Karolines verstorben geglaubter Mann Peter (Besir Zeciri) wirkt hier wie ein allzu gewolltes Konstrukt: Abgesehen davon, dass Dänemark als neutrales Land eigentlich nicht am Ersten Weltkrieg beteiligt war, kehrt Peter mit entstelltem Gesicht zurück, was ihm nur die Möglichkeit lässt, sich in einem Zirkus als zur Schau gestellter Freak zu verdingen.
Äußerliche und innere Abgründe scheint von Horn hier gegeneinander stellen zu wollen, beides Aspekte einer patriarchalen Welt, in der Abweichungen von der Norm mit Verachtung bestraft werden. Zu diesem Zweck mischt er inhaltlich oft sozialrealistisches Kino mit Genremustern, driftet mal in gotischen Horror, mal in eine Serienkillergeschichte ab, eine inhaltlich nicht immer ganz überzeugende Mischung, die am Ende vor allem durch den markanten Stil überzeugt. (programmkino.de)
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