Am 6.4. zeigt das Kinoptikum

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Sa. 18:00
RICKERL - MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY
Ö/D 2023, 110 Min.
Regie: Adrian Goiginger
mit Voodoo Jürgens, Agnes Hausmann, Nicole Beutler
Viena calling again: Eine großartige, kleine Kinoperle – lebensecht, melancholisch und voller Schmäh
Trailer zu RICKERL - MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY
Weiterlesen... Wer ist dieser Rickerl, der eigentlich Erich heißt? – Der Rickerl ist ganz viel, aber vor allem eine Seele von Mensch. Wenn nur dieser Hang zur Melancholie nicht wäre. Der ist beim Rickerl geradezu geschäftsschädigend, weil er nämlich Liedermacher ist, in Wien, noch dazu. Und in Wien wollen die Menschen keine melancholischen Songs hören, melancholisch sind sie selbst.
Gründe für die Melancholie vom Rickerl gibt‘s viele, der gewichtigste Grund dürfte der Dominik sein, Rickerls kleiner Sohn, den er abgöttisch liebt. Aber den Dominik darf Rickerl nur alle zwei Wochen am Wochenende sehen, weil er nämlich die Beziehung zu Viki, Dominiks Mutter, dermaßen vor die Wand gefahren hat, dass die jetzt ihren neuen Freund, ausgerechnet einen Piefke, also einen Deutschen, heiraten will. Und das nagt ganz gewaltig am Rickerl, wie so vieles. Der Rickerl versteht die Welt nicht mehr, und er versteht sich meistens selber nicht.
Übrigens gibt’s den Rickerl gar nicht, sondern er ist eine Kunstfigur, die total kongenial vom Wiener Liedermacher Voodoo Jürgens gespielt wird. Möglicherweise handelt es sich bei Voodoo Jürgens ebenfalls um eine Kunstfigur, die große Ähnlichkeiten mit dem Rickerl haben könnte. Aber das ist eigentlich egal. Nicht egal ist, dass Voodoo Jürgens, den einige vielleicht bereits aus dem schönen kleinen Dokumentarfilm „Vienna Calling“ über die neue Wiener Kleinkunst- und Liedermacherszene kennen, ein paar Songs vom Rickerl geschrieben hat. Und das sind sehr, sehr schöne Songs.
„Rickerl“ ist nicht einfach nur ein Film über einen fiktiven Liedermacher, der sich fortwährend selbst im Weg steht. „Rickerl“ ist vor allem ein Film über die schier unüberwindlichen Hürden des Künstlerdaseins. Dieser Künstler, der sich Rickerl nennt, zweifelt praktisch in jeder Sekunde an dem, was er tut. Keine Textzeile ist ihm gut genug, jedes Lied, das er irgendwann mal, vielleicht vor ein paar Jahren geschrieben hat, kann und muss immer noch verbessert werden. Der Rickerl lebt nicht in den Tag hinein, auch wenn es manchmal so aussieht, denn es ist alles andere als einfach, der Rickerl zu sein. Das Beisl – die Wiener Kneipe – ist sein Revier, der Schmäh ist sein Programm und alles andere wird sich finden. Oder auch nicht. Tatsächlich aber sieht es so aus, als könnte der Rickerl das Zeug zum großen Künstler haben, und auch davon erzählt dieser kleine, feine Film.
Adrian Goiginger, der schon mit seinem Kinoerstling „Die beste aller Welten“ auf der Berlinale 2017 für Furore sorgte, hält auch in seinem vierten Kinofilm das hohe Niveau und diese sehr angenehme Mischung aus liebevoller Betrachtung und lakonischem Humor, zu dem immer auch eine leicht melancholische Atmosphäre gehört. Gleichzeitig liefert er hier eine Liebeserklärung in mehrfacher Hinsicht: an den Austropop, der zurzeit wieder ein Comeback mit neuen Künstlerinnen und Künstlern feiert, an die Stadt Wien und an den unverkennbaren Dialekt, der einfach dazugehört. Dabei ist „Rickerl“ viel eher eine Komödie als seine vorherigen Filme, dabei aber alles andere als platt oder oberflächlich: ein feines Kinoerlebnis.
Und bei allem sollte unbedingt erwähnt werden: In diesem Film wird mehr geraucht als in einem Bette-Davis-Film aus den 30er Jahren. Und das ist auch keine kleine Leistung.
(programmkino.de)
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Sa. 20:30
THE ZONE OF INTEREST
GB/USA/PL 2023, 105 Min.
Regie: Jonathan Glazer
mit Sandra Hüller, Christian Friedel, Medusa Knopf
Das hochdekorierte Meisterwerk von der Banalität des Bösen
Trailer zu THE ZONE OF INTEREST
Weiterlesen... Bukolisch mutet das Leben an, das Hedwig (Sandra Hüller) und Rudolf Höß (Christian Friedel) führen, irgendwo in der polnischen Provinz, wo sie mit den Kindern an malerischen Seen baden, Geburtstag feiern, wo sie den Haushalt führt und er tagtäglich zur Arbeit geht. Er hat es nicht weit, denn direkt hinter dem schmucken Haus mit großem Garten, das die Familie bewohnt, erheben sich die Mauern von Auschwitz. Höß ist der Leiter des Konzentrationslager und als solcher – wenn man das in diesem Kontext so sagen darf und will – ausgesprochen erfolgreich. Zwischen Mai 1940 und November 1943 war er Kommandant des Lagers, dessen Name Synonym für die Vernichtungsmaschine der Nazis wurde, die mindestens sechs Millionen Juden ermordete.
All das ist weidlich bekannt, unzählige Bücher, Filme und andere künstlerische Versuche sind in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, die auf die ein oder andere Weise versuchten, das Unvorstellbare verständlich zu machen. Vor gut zehn Jahren erschien Martin Amis Roman „The Zone of Interest“, in dem der britische Skandalautor einen kaleidoskopartigen Blick auf das Leben diverser Menschen warf, die in und um Auschwitz lebten und arbeiteten. Diesen Roman hat nun Jonathan Glazer adaptiert, zum Glück nur lose, streng genommen kaum mehr als Amis’ erzählerischen Ansatz übernehmend, aber dankenswerterweise den Voyeurismus, den völlig unpassenden erotischen Blick des Romans ignorierend.
Glazers Film bleibt immer Außen, überquert nie die Mauern von Auschwitz, zeigt das nur scheinbar ganz normale Leben im Schatten des Grauens. Hedwig genießt den großen Graten, den sie liebevoll anpflanzt und stört sich scheinbar nicht am konstanten Wummern der Öfen, an gelegentlichen Schüssen, die über die Mauer hinüberwabern, auch nicht am Klang des Orchesters, das an der Laderampe spielt, um die neuen Gefangene in ein Gefühl der falschen Sicherheit zu wiegen. Nur gelegentlich bricht es aus ihr heraus, schnauzt sie eines ihrer Dienstmädchen an, was in diesem Fall besonders bedrohlich ist, denn es droht nicht der Rausschmiss, sondern das Gas.
Rudolf wiederum ist ein mustergültiger Nazi, der seine Aufgabe beflissentlich erfüllt und eifrig bemüht ist, den Vernichtungsprozess rationaler ablaufen zu lassen. Ein Vertreter sitzt da einmal bei ihm im Wohnzimmer uns stellt eine neue Idee für Brennöfen vor, die Höß begutachtet als würde es sich um neue Regale handeln.
In unbarmherzig scharfen Bildern zeigt Glazer diese Menschen, die es sich im Schatten des Grauens gemütlich eingerichtet haben. Weniger um die allzu oft zitierte Banalität des Bösens geht es dabei, als um das allzu menschliche Verhalten, unliebsame Dinge auszublenden. Erst ganz spät erlebt Höß in einem hellsichtigen Moment eine Art Vision, blickt in die Zukunft und sieht, wie im nun zur Gedenkstätte gewordenen Auschwitz die wenigen Überbleibsel der Vernichtungsmaschinerie ausgestellt werden. Dann ist der Moment vorbei und Höß geht weiter, geht wieder an die Arbeit, die er ausübt, als wäre es eine ganz normale.
Mit seinem vierten Spielfilm (Der in Cannes mit dem Großen Preis der Jury und dem Preis der Internationalen Filmkritik ausgezeichnet wurde) hat Jonathan Glazer einen außerordentlichen Film gedreht, formal und inhaltlich radikal, mit größter Präzision und zwei herausragender Schauspielern in den Hauptrollen. Ein Film, der gerade in Deutschland zum Pflichtprogramm werden sollte, in Schulen, aber auch darüber hinaus. (programmkino.de)
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