Ein sengender Sommer im Sog der Ostsee und unterdrückter Gefühle. Hypnotisches Petzold-Kino vom Feinsten!
Weiterlesen...„Roter Himmel“ ist die Christian-Petzold-Variante von Stanley Kubricks “Shining“. Ein Schriftsteller steckt fest an einem Ort, an dem er weder Schlaf noch Inspiration findet, sondern nur Leute, die ihn nerven. Doch Petzold lässt nicht – das wäre ja einfach gewesen – dem Wahnsinn freien Lauf, sondern zeigt präzise das innere Zerfressen von Leon, dem jungen Autor, der an seinem zweiten Roman eigentlich arbeiten will. Das macht er zumindest sich vor, seinem Freund, nein, besser: Kumpel Felix und auch Nadja und Devid, denen sie im Ferienhaus an der Ostsee begegnen. Und 30 Kilometer weiter wüten die Waldbrände. Eigentlich will Leon alleine sein. Er will nicht schwimmen gehen, muss arbeiten. Spielt dann aber mit einem Tennisball. Gibt seine Tätigkeit als hoffnungsvoller Autor vor. Felix ist am Strand; er verbindet seine Arbeit mit dem Vergnügen zu baden, will eine Kunsthochschule-Bewerbungsmappe mit Thema Wasser zusammenstellen. Nadja ist zufällig im selben Haus, Felix’ Mutter hat doppelt vermietet; Devid ist der Rettungsschwimmer. Sie alle nerven. Leon wird gespielt von Thomas Schubert als unsicherer, missvergnügter Mensch, der sich in sich selbst zurückzieht und dem missfällt, was er dort findet. Schubert ist großartig in der Darstellung der Widersprüche dieses Menschen, wie er die anderen in Schubladen steckt. Nadja? Russin, na klar. Und dann noch Eisverkäuferin. Eine Putzfrau hatte mal sein Manuskript als Schmonzette beurteilt – klar, was sonst, und was weiß die schon, und ist es eine Schmonzette, und kann er überhaupt schreiben, und was wird der Verleger sagen, wenn er morgen vorbeikommt? Leon brütet, ist abgestoßen von den nächtlichen Beischlafgeräuschen, die aus Nadjas Zimmer kommen, zugleich angezogen von ihr, der Rätselhaften. Devid, der Rettungsschwimmer, mit einem E, weil das so ein DDR-Ding ist, der ist das Leben selbst, Leon macht ihn subtil genug, um deutlich zu sein, beim gemeinsamen Abendessen fertig. Felix, der Freund, den Leon nutzt, um in der Abgeschiedenheit seinen Roman fertigstellen zu können, entfernt sich mehr und mehr aus seinem Umkreis, Leon spürt die Distanz und ignoriert sie, weil er sie nicht wahrhaben will. Petzold ist ein Meister in seinem Fach, das beweist er einmal mehr mit Roter Himmel. Er verzichtet auf eine nacherzählbare Handlung und beschreibt filmisch seine Charaktere, und das genügt – weil Petzold eben doch sehr viel zu erzählen hat, über die Bilder, über die Körper seiner Figuren, über deren Blicke, über die kleinen Nebenbei-Genreeinsprengsel von Komödie über Drama bis Horror, die er einstreut, ohne sie auszustellen. Autopanne, Geräusche im Wald, überraschende Begegnungen und kokette Dialoge – die innere Ablehnung dessen, was sie anderen interessant macht. Leon will teilhaben an der Sommerfreude und verweigert gleichzeitig das Vergnügen, blockiert sich selbst. Frisst alles in sich rein, ist unsicher, weist die anderen schroff ab, zieht sich zurück. Ist dann beleidigt, ganz für sich. Und lässt es an den anderen aus. Roter Himmel ist eine grandiose Charakterstudie, auch ein Film darüber, was Kunst ist und wie sie gemacht wird, ein Film über Gefühle, wie man sie unterdrücken kann und wie sie dann doch herausbrodeln. Wenn es zu spät ist. Das ist, man mag es kaum glauben, spannend. Und auf jeden Fall höchst sehenswert. (kino-zeit.de)Ausblenden
So. 19:00
BROKER - FAMILIE GESUCHT DF
Asia Kino – ROK/JAP 2022, 129 Min. Regie: Hirokazu Kore-Eda
mit Song Kang-ho, Gang Dong Won, Doona Bae
Eine ungewöhnliche Familienkonstellation auf moralischen Abwegen und turbulenter Odyssee durch Südkorea
Weiterlesen...An einem verregneten Abend in der südkoreanischen Stadt Busan, legt die junge So-young (der koreanische Popstar Lee Ji-eun) ihr Baby Woo-sung an einer Babyklappe einer Kirche ab. Doch statt das Baby in den Kreislauf von Waisenhäusern und möglicher Adoptionen zu geben, nehmen Sang-hyeon (Song Kang-ho, der Familienpatriarch aus „Parasite“) und sein Freund Dong-soo (Gang Dong-won) das Baby an sich. Nicht aus Böswilligkeit, sondern um es in gute Hände zu geben. Denn das koreanische Gesetzt besagt, dass ein an einer Babyklappe abgegebener Säugling nicht zur Adoption freigegeben werden darf, wenn die Mutter einen Zettel mit dem Inhalt „Ich werde wiederkommen“ beigelegt hat. Ein Versprechen, das allerdings so gut wie nie eingelöst wird, wie Dong-soo aus eigener Erfahrung weiß. Und so versucht das Duo, die Regeln zu umgehen und den Babys unter der Hand zu liebevollen Eltern zu geben, die aus unterschiedlichen Gründen nicht offiziell als Adoptiveltern in Frage kommen. Verkompliziert wird die Angelegenheit im Fall des kleinen Woo-sung jedoch dadurch, dass am nächsten Tag seine Mutter So-young Gewissensbisse plagen und sie zur Babyklappe zurückkehrt. Doch das Versprechen, nicht wenig Geld für eine Adoption zu erhalten, lässt sie Schwanken. Fortan begleitet sie Sang-hyeon und Dong-soo beim Versuch, vertrauenswürdige Eltern für Woo-sung zu finden. Dabei wird das Trio von den Polizisten Soo-jin (Bae Doona) und Lee (Lee Joo-young) beobachtet, die dem illegalen Adoptionsgeschäft schon länger auf der Spur sind, aber nur dann eingreifen können, wenn sie den Verkauf eines Babys auf frischer Tat beobachten Keine Figur in Hirokazu Kore-Edas „Broker“ verhält sich wirklich einwandfrei, doch ebenso wenig hat eine der Figuren finstere Absichten. Aus diesen moralischen Ambivalenzen speist sich die Spannung in einem melodramatischen Film, dessen bisweilen haarsträubend konstruierte Handlung für Irritationen sorgt. Gelang es Hirokazu in seinen besten Filmen einen mitreißenden Fluss aus moralischen, gesellschaftlichen Zwängen zu erzeugen, erzählt er in „Broker“ eine Geschichte, die so konstruiert wirkt, dass sie nahe am Exploitation-Kino erscheint. Doch auch wenn immer wieder die Grenze zum Unglaubwürdigen gestreift wird: Im Kern ist „Broker“ dann doch durch und durch ein Hirokazu Kore-Eda-Film. Und das bedeutet komplexe Figuren, die sich in einer komplizierten Welt zurechtzufinden versuchen, die vielleicht nicht immer das Richtige tun, aber doch aus den richtigen Intentionen. Nach einem Ausflug nach Frankreich („La Vérité – Leben und lügen lassen“ mit Catherine Deneuve und Juliette Binoche) hat Hirokazu nun zum ersten Mal in Korea gedreht, vor allem aus dem Grund, weil das Themenfeld Babyklappe-Adoption-Abtreibung dort in der Öffentlichkeit deutlich offener und intensiver diskutiert wird als in Japan. Vor allem dank eines hervorragenden Darstellerensembles kommen auch in dieser fremden Umgebung die Qualitäten des Kinos Hirokazu Kore-Edas zur Geltung: Ein humanistischer Blick auf eine Welt, in der es kaum möglich ist, immer das Richtige zu tun und sich dabei immer ganz genau an alle Regeln und Normen zu halten. Auch wenn das erzählerische Konstrukt von „Broker“ oft ächzt und knarrt, die Qualitäten von Hirokazus Blick auf die Welt und die Menschen, die versuchen sich in ihr zurecht zu finden, sind auch hier deutlich zu erkennen. (programmkino.de)Ausblenden