Le Bleu du Caftan – F/MAR/B 2022, 124 Min. Regie: Maryam Touzani
mit Lubna Aznabal, Saleh Bakri, Ayoub Missioui
Man muss kein Schneider sein, um sich unter dem Kaftan etwas vorstellen zu können: Ein einfühlsames Kammerspiel inmitten traditioneller Welten und Werkstätten.
Weiterlesen...„Ein Kaftan muss denjenigen, der ihn trägt, überleben.“ Es ist der Maßschneider Halim (Saleh Bakri), der diesen Anspruch an seine teils schon kunsthandwerkliche Schneiderarbeit definiert. Zusammen mit seiner Frau Mina (Lubna Azabal) betreibt er in der Medina einer marokkanischen Stadt ein Atelier für die in feinster Handarbeit genähten traditionellen Gewänder. Die Auftragslage ist gut, zu zweit kommen sie kaum hinterher, zumal Mina mit den Folgen einer schweren Krankheit zu kämpfen hat. Verlässliche Mitarbeiter zu finden allerdings ist schwer. Mit Youssef (Ayoub Missioui) findet das seit über 25 Jahren verheiratete Paar aber eines Tages dann doch einen talentierten Lehrling, der handwerklich geschickt ist. Mina beobachtet, wie sich zwischen dem Azubi und ihrem Mann bald ein über das Geschäftliche hinausgehendes Verhältnis entwickelt. Die marokkanische Ex-Journalistin und Regisseurin Maryam Touzani, deren 2019 entstandenes Spielfilmdebüt „Adam“ über eine alleinerziehende Bäckersfrau, die einer Schwangeren Asyl gewährt, vor noch nicht allzu langer Zeit in deutschen Kinos lief - auch damals mit Lubna Azabal, die 2010 für Denis Villeneuve in „Incendies“ die Frau, die singt, war, in der Hauptrolle – breitet ihre Geschichte so sanft und samten aus wie den blauen Stoff eines Kaftans in der Eingangssequenz. Sie erzählt von der Homosexualität eines Mannes, der sein Verlangen bei regelmäßigen Besuchen im Hamam auslebt, den Anschein einer intakten Ehe aber dahingehend währt, indem er seine Gattin Mina mit ins Caféhaus nimmt, wo sie die einzige Frau unter den Gästen ist. Mina ist sich der Gefühle ihres Mannes bewusst, trotzdem kann sie eine leichte Eifersucht nicht unterdrücken, als Lehrling Youssef in ihrer Lebenswelt auftaucht und sich ihr Mann zu verändern scheint. Homosexuelle Handlungen sind in Marokko bis heute unter Strafe gestellt. Touzani zeigt das Begehren deshalb bewusst diskret, bleibt mit der Kamera draußen, wenn Halim mit einem Sexpartner hinter der Türe einer Hamam-Einzelkabine verschwindet. Sie bleibt aber auch ebenso dezent, was die Schilderung der Krankheit Minas oder persönliche Aspekte der Vergangenheit ihres Mannes wie auch Youssufs, dessen Figur am wenigsten beleuchtet wird, anbelangt. Wie Halim feststellt, sorgt seine Frau durch die Wandlung, die sie im Laufe des Films vollzieht dafür, dass das mögliche Konfliktpotenzial im privaten Rahmen versteckt bleibt. Und genau hierin liegt die große Kraft dieses zurückhaltenden, vielschichtigen und von Blicken und Gesten lebenden sowie einer auf sinnliche Weise das Kaftanschneidern in Details beschreibenden Drei-Personen-Stücks: es erzählt von einer Liebe, die wie ein Kaftan ein Leben überdauert. (programmkino.de)Ausblenden
Fr. 20:30
BROKER - FAMILIE GESUCHT DF
Asia Kino – ROK/JAP 2022, 129 Min. Regie: Hirokazu Kore-Eda
mit Song Kang-ho, Gang Dong Won, Doona Bae
Eine ungewöhnliche Familienkonstellation auf moralischen Abwegen und turbulenter Odyssee durch Südkorea
Weiterlesen...An einem verregneten Abend in der südkoreanischen Stadt Busan, legt die junge So-young (der koreanische Popstar Lee Ji-eun) ihr Baby Woo-sung an einer Babyklappe einer Kirche ab. Doch statt das Baby in den Kreislauf von Waisenhäusern und möglicher Adoptionen zu geben, nehmen Sang-hyeon (Song Kang-ho, der Familienpatriarch aus „Parasite“) und sein Freund Dong-soo (Gang Dong-won) das Baby an sich. Nicht aus Böswilligkeit, sondern um es in gute Hände zu geben. Denn das koreanische Gesetzt besagt, dass ein an einer Babyklappe abgegebener Säugling nicht zur Adoption freigegeben werden darf, wenn die Mutter einen Zettel mit dem Inhalt „Ich werde wiederkommen“ beigelegt hat. Ein Versprechen, das allerdings so gut wie nie eingelöst wird, wie Dong-soo aus eigener Erfahrung weiß. Und so versucht das Duo, die Regeln zu umgehen und den Babys unter der Hand zu liebevollen Eltern zu geben, die aus unterschiedlichen Gründen nicht offiziell als Adoptiveltern in Frage kommen. Verkompliziert wird die Angelegenheit im Fall des kleinen Woo-sung jedoch dadurch, dass am nächsten Tag seine Mutter So-young Gewissensbisse plagen und sie zur Babyklappe zurückkehrt. Doch das Versprechen, nicht wenig Geld für eine Adoption zu erhalten, lässt sie Schwanken. Fortan begleitet sie Sang-hyeon und Dong-soo beim Versuch, vertrauenswürdige Eltern für Woo-sung zu finden. Dabei wird das Trio von den Polizisten Soo-jin (Bae Doona) und Lee (Lee Joo-young) beobachtet, die dem illegalen Adoptionsgeschäft schon länger auf der Spur sind, aber nur dann eingreifen können, wenn sie den Verkauf eines Babys auf frischer Tat beobachten Keine Figur in Hirokazu Kore-Edas „Broker“ verhält sich wirklich einwandfrei, doch ebenso wenig hat eine der Figuren finstere Absichten. Aus diesen moralischen Ambivalenzen speist sich die Spannung in einem melodramatischen Film, dessen bisweilen haarsträubend konstruierte Handlung für Irritationen sorgt. Gelang es Hirokazu in seinen besten Filmen einen mitreißenden Fluss aus moralischen, gesellschaftlichen Zwängen zu erzeugen, erzählt er in „Broker“ eine Geschichte, die so konstruiert wirkt, dass sie nahe am Exploitation-Kino erscheint. Doch auch wenn immer wieder die Grenze zum Unglaubwürdigen gestreift wird: Im Kern ist „Broker“ dann doch durch und durch ein Hirokazu Kore-Eda-Film. Und das bedeutet komplexe Figuren, die sich in einer komplizierten Welt zurechtzufinden versuchen, die vielleicht nicht immer das Richtige tun, aber doch aus den richtigen Intentionen. Nach einem Ausflug nach Frankreich („La Vérité – Leben und lügen lassen“ mit Catherine Deneuve und Juliette Binoche) hat Hirokazu nun zum ersten Mal in Korea gedreht, vor allem aus dem Grund, weil das Themenfeld Babyklappe-Adoption-Abtreibung dort in der Öffentlichkeit deutlich offener und intensiver diskutiert wird als in Japan. Vor allem dank eines hervorragenden Darstellerensembles kommen auch in dieser fremden Umgebung die Qualitäten des Kinos Hirokazu Kore-Edas zur Geltung: Ein humanistischer Blick auf eine Welt, in der es kaum möglich ist, immer das Richtige zu tun und sich dabei immer ganz genau an alle Regeln und Normen zu halten. Auch wenn das erzählerische Konstrukt von „Broker“ oft ächzt und knarrt, die Qualitäten von Hirokazus Blick auf die Welt und die Menschen, die versuchen sich in ihr zurecht zu finden, sind auch hier deutlich zu erkennen. (programmkino.de)Ausblenden