Am 19.3. zeigt das Kinoptikum

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So. 11:00
MÜNCHEN - Geheimnisse einer Stadt
Architektur & Kunst – D 2011, 121 Min.
Regie: Dominik Graf, Michael Althen
Ein essayistisches Füllhorn, randvoll mit Geschichten und Blicken in die Seele einer Stadt zur Jahrtausendwende
Trailer zu MÜNCHEN - Geheimnisse einer Stadt
Weiterlesen... "Hier spielt sich der eigentliche Film über die Stadt München ab", so heißt es einmal gegen Ende von Dominik Grafs und Michael Althens Filmessay München — Geheimnisse einer Stadt. Dann zeigt die Kamera das Video-Kontrollzentrum der Münchner Verkehrsleitzentrale. Für einen kurzen Moment ist man gewillt diese Bilderfolge und den Off-Text als politischen Kommentar zu lesen. Die 1000 Augen des Doktor Mabuse kommen einem in den Sinn, Big Brother ebenso. Hier die anonymen Kontrolleure mit dem alles erfassenden Blick und dort die unbescholtenen Bürger, die sich ihrer Überwachung gar nicht gewahr werden. Doch dem Regisseur Graf und dem Filmkritiker Althen geht es hier nicht um Beschränkung und Gefahr, sondern vielmehr um eine seltene Freiheit - die Freiheit des Blicks.
In jedem Monitor spiegelt sich nämlich eine mögliche Geschichte der Stadt München wieder. Schlendernde Frauen in der Einkaufspassage, ein Mann, der an der Bushaltestelle ungeduldig raucht, vielleicht wird zur gleichen Zeit in einer U-Bahn jemand zusammengeschlagen - das alles passiert ohne den Zwang unbedingt erzählt zu werden. Welcher Monitor nun etwas Wichtiges zeigt und welcher nicht ist im Kontrollzentrum nicht Aufgabe eines Regisseurs oder Drehbuchautors. Jeder darf die Bedeutung der Details selbst bemessen. Die Stadt wird so zum ewigen Theorem, einem Ort unendlicher Möglichkeitsdimensionen. Ganz München als „Was wäre wenn“-Prinzip.
München — Geheimnisse einer Stadt ist ein Essayfilm, mit dem Dominik Graf und der vor einem Jahr verstorbene Kritiker Michael Althen versuchen, all jene Geschichten Münchens zu fassen, die in der täglichen Gemengelage von Nachrichten, Romanen und Filmen nicht erzählt werden. Zwölf Jahre nach seiner Premiere bringt Absolut Medien dieses Projekt nun endlich auf DVD heraus. Endlich, weil die Gedankentiefe, die diese Arbeit mitunter erreicht, sehr selten ist.
Einen derart materialreichen Essayfilm zu beschreiben ist nahezu unmöglich. Wo sollte man anfangen, wo aufhören? Beim Roman der Blicke vielleicht, der eine Kette von traurig unerfüllten Lebensentwürfen schafft und das allein anhand des zufälligen Augenkontaktes zweier Menschen in der anonymen Masse. Oder vielleicht doch lieber bei der Geschichte des Geldscheines, der einen semi-kriminellen Verwertungskreislauf durchläuft, bis er wieder bei seinem ursprünglichem Besitzer ankommt? Oder doch bei der Episode vom Kindermädchen, das in der Gastfamilie heimlich einen Freund empfängt, und aus Angst davor, vom kleinen Sohn der Gastgeber verraten zu werden, ihn jeden Morgen etwas mehr von ihrem nackten, jungen, schönen Körper sehen lässt? Althen und Graf erzählen dieses unschuldige sexuelle Erweckungserlebnis als sehnsüchtigen Fotoroman in Schwarzweiß. Die Fülle des Materials reicht von Fotos, Archivaufnahmen über Spielfilmszenen, Animationen bis hin zu künstlichen Kulissen. Graf und Althen behalten stets den Überblick. Kein Bild zu viel, kein Wort zu wenig. Damit erreicht ihre Arbeit die Qualität eines Chris Markers, dem vielleicht besten Essayfilmer überhaupt.
München — Geheimnisse einer Stadt bewegt sich spiralförmig durch sein Material. Seine Chronologie ist weniger der fiktive Lebenslaufs des anonymen, männlichen Protagonisten an dem sich die einzelnen Episoden grob orientieren, als vielmehr die Topographie der Stadt selbst. Und das meint in diese Fall nicht nur das gegenwärtige München, sondern umschliesst die Vergangenheit der Stadt im gleichen Maße wie ihre Zukunft. Der Film entstand kurz vor der Jahrtausendwende. Obwohl zwölf Jahre vergangen sind, behält er etwas sehr Drängendes, fast schon Aktuelles. Das liegt auch an dem hypnotischen Off-Kommentar den Dominik Graf langsam und eindringlich über die Bilder spricht und der schon sehr bald ein Eigenleben entwickelt. Dieser Kommentar macht süchtig, wie nur die Kommentare eines Werner Herzog süchtig machen. Natürlich erblüht die volle Weisheit des Textes erst in seiner Konfrontation mit den Bildern, die angesichts der Einfühlsamkeit eines Michael Althen (der den Text zwar nicht allein verfasst aber entscheiden geprägt haben muss) sich stillschweigend fügen und nach Belieben umdeuten lassen. Man möchte diese Tonspur ständig im Ohr haben, sie aus der DVD lösen und als Audiokommentar des eigenen Alltags abspielen. Es lässt sich daher auch verschmerzen, dass auf der DVD keine weiteren Extras vorhanden sind. Das erlaubt den Blick aufs Wesentliche.
Und das Wesentlich des Films liegt in seiner Kraft uns sehend reflektieren zu lassen. Die so ausgelösten Gedankengänge und Assoziationsketten werfen den Betrachter auf sich selbst und sein eigenes Großstadtleben zurück. Man erkennt Parallelen, findet seine eignen Sehnsüchte gespiegelt und verstärkt wieder. Denn wer in der Stadt groß geworden ist, der kennt das. Man versucht sich den Ort gleich einem Memory-Spiel zu erschließen, man zieht um, geht zwanghaft andere, neue Wege, immer vom Verlangen getrieben alle weißen Flecken auf der eigenen Landkarte aufzudecken und zu erobern, nur um letztlich zu begreifen, dass man nie in den Besitz jener Schlüssel kommen wird, die einem die komplette Gestalt der Stadt offenbaren werden.
Und in diesem Moment, wo wir das begreifen, sind wir bereits gealtert, haben etwas an die Stadt verloren. So wie der alte Mann in München. Geheimnisse einer Stadt dessen bitter-ehrlicher Kommentar zugleich auch sein Vermächtnis ans Leben ist. Wie er sich in seinem kargen Zimmer ans Fenster lehnt und auf die engen Straßenschluchten herab blickt, das ist dann ein Bild von einem, der längst in seiner Umgebung aufgegangen ist. Er ist zum Großstadtmenschen geworden und wir begreifen, dass dies keine blutleere soziologische Beschreibung mehr ist, sondern ein Schicksal, das man auch (er)tragen muss.
Aber auch das ist nur eine Lesart, eine Möglichkeit von vielen diesen Film zu begreifen. Es gibt sicherlich noch Tausende andere, auf jeden Fall viel mehr als Monitore im Kontrollzentrum der Münchner Verkehrsleitzentrale.
(kino-zeit.de)
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So. 15:30
MEIN LEBEN ALS ZUCCHINI
KinderKino – CH/F 2015, 66 Min.
Regie: Claude Barras
Einfühlsames Trickfilm-Märchen aus dem Kinderheim (empfohlen ab 8 Jahren)
Trailer zu MEIN LEBEN ALS ZUCCHINI
Weiterlesen... Das Schicksal schlägt mit unerbittlicher Härte zu, als die Mutter des erst neunjährigen Zucchini plötzlich ums Leben kommt. Zum Glück gibt es den fürsorglichen Polizisten Raymond, der den kleinen Jungen ins Heim von Madam Papineau bringt, wo er in Zukunft mit anderen Kindern aufwachsen und seinen Platz in der Gesellschaft suchen kann. Doch der Anfang in seinem neuen Zuhause fällt Zucchini nicht leicht, schließlich haben auch die anderen Kinder wie zum Beispiel der freche Simon oder die schüchterne Alice schon viel erlebt. Eines Tages stößt die mutige Camille zu der Truppe – und auf einmal ist Zucchini zum ersten Mal in seinem Leben verliebt! Doch leider will ihre Tante Camille zu sich holen und die Gruppe auseinanderreißen. Ob Zucchini und seine Freunde das verhindern können? Ein schwieriges Thema, mit leichter Hand umgesetzt. Eine rundum gelungene und liebevoll animierte Stop-Motion-Romanadaption für die ganze Familie. Ausblenden

So. 19:00
THE BANSHEES OF INISHERIN  DF
IRL/USA/GB 2022, 109 Min.
Regie: Martin McDonagh
mit Colin Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon
Die rabenschwarze Groteske vom jähen Ende einer Freundschaft - ganz großes Kino in hingetupften Bildern
Trailer zu THE BANSHEES OF INISHERIN
Weiterlesen... Auf einer kleinen, irischen Insel passiert das Undenkbare: Colm macht seine Tür nicht auf! Und das, obwohl er zu Hause ist und sein bester Freund klopft. Aus dieser ungeheuerlichen Kleinigkeit spinnt Regisseur Martin McDonagh eine eigenwillige Tragikomödie, die ihn nicht nur mit seinen Stars aus „Brügge sehen… und sterben?“ (2008) vereint, sondern auch zu seinen Wurzeln als Theaterautor zurückführt.
Wir schreiben das Jahr 1923 und der irische Bürgerkrieg wütet. Ein Land in Aufruhr, am Scheideweg der Geschichte. In The Banshees of Inisherin werden wir davon nichts sehen, außer ein paar Rauchwölkchen am Horizont, wenn der Wind ungünstig steht. Die Weltgeschichte tobt sich jenseits des Inselchens Inisherin aus und ist nur eine Fußnote in der vergleichsweise unbedeutenden Begebenheit, die sich dort abspielt: Pádraic (Colin Farrell) will seinen besten Freund Colm (Brendan Gleeson) wie jeden Tag mit in den Pub nehmen, aber der hat keine Lust darauf. Der Grund dafür: „I just don’t like you no more.“
Der Film trägt unverkennbar die Handschrift seines Regisseurs Martin McDonagh: Eine gehörige Prise schwarzer Humor würzt eine Geschichte über Schuld, Vergebung und persönliche Fegefeuer. Meisterhaft dirigiert er ein großes Figurenensemble, in dessen Zentrum seine alten Weggefährten Colin Farrell und Brendan Gleeson hervorragende Leistungen abliefern. Eine weitere Lieblingsperformance bietet Kerry Condo, die mit Schlagfertigkeit und Verstand gegen den Wahnsinn auf der Insel kämpft. Doch auch der Rest des Ensembles sorgt dafür, dass die Geschichte ihre Stimmung halten kann: Von tragenden Nebenrollen bis hin zur täglichen Pubgesellschaft scheint hier jede Figur zu leben und zu atmen.
Wie in früheren Werken spielt neben den Personen auch der Schauplatz eine Hauptrollte: Damals waren es Brügge (Brügge sehen… und sterben?), Los Angeles (7 Psychos) und Ebbing (Three Billboards Outside Ebbing, Missouri), dieses Mal ist es Inisherin. McDonagh kehrt mit diesem Setting zu seinen Ursprüngen zurück, denn bevor er ins Filmgeschäft einstieg, war er Theaterautor und verfasste bereits Stücke über die beiden anderen Aran-Inseln vor der irischen Küste. Eine Trilogie, die nun mehr als 20 Jahre später eine filmische Vollendung findet. Die Leinwand bot für ihn stets die Gelegenheit, seine Spielorte prägnant in Szene zu setzen – und auch dieses Mal schwelgt er in ästhetischen Bildern: Fast geisterhaft schwebt die Kamera zu Beginn des Films aus einer Wolkendecke über grüne Felder, steinige Klippen und das aufgewühlte Meer, während folkloristische Musik die Szenerie untermalt. Wie in früheren Werken beschwört McDonagh verspielt eine nostalgische Märchenwelt herauf, ein ideales Abziehbild eines wirklichen Ortes, um sie dann genüsslich zu demontieren.
Diese Demontage kann zuweilen an die Nieren gehen, denn recht früh wird klar, dass die Inselbewohner von einer winzigen Apokalypse zur nächsten stolpern. Nachdem das erste Mal Blut fließt, mischt sich ein Suspense-Film in die komödiantische Prämisse: Die unbeholfene Liebeserklärung am See könnte mit einem herzlichen Lacher oder einer Leiche enden, der lange Blick auf den Haushund ist vielleicht sein Todesurteil oder nur der Auftakt zum Gassigehen. In den Momenten, in denen die letzte Wendung einer Szene klar wird, fällt einem entweder ein Stein vom Herzen oder selbiger mit Wucht auf den Kopf. Diese Dramatik verstärkt sich durch die ständige Repetition der Geschichte, in der Figuren immer wieder die gleichen Fehler begehen und permanent gegen Wände laufen. Ist eine Situation glimpflich ausgegangen, passiert schon bald etwas Ähnliches und könnte in einer Katastrophe enden.
Obwohl dieser Erzähltakt an manchen Stellen bewusst die Story zum Stillstand bringt, bleibt die sture Hartnäckigkeit der Figuren nachvollziehbar, denn im irischen Inselkosmos scheinen selbst die simpelsten Dinge unerreichbar: eine Partnerin für Dorftrottel Dominic, ein Platz am Kamin für den Esel Jenny, ein guter Freund für Pádraic. Einzig Colm hat größte Ambitionen und träumt davon, seine Komposition von Banshees of Inisherin zu vollenden.
Aber vielleicht ist nicht einmal das die ganze Wahrheit. Möglicherweise ist die Situation eine Allegorie auf den Bürgerkrieg, vielleicht treiben tatsächlich Geister aus der irischen Mythologie ihr Unwesen auf Inisherin oder aber die Menschen (und Esel) sind derart verirrt im Leben, dass sie selbst nicht wissen, was sie wollen. Anstatt klare Motivationen und Figurenbögen zu bieten, wird hier etwas urtümlicheres, etwas verzwickteres abgeliefert, kein Bogen, sondern eher ein Figuren-Rorschachtest, dem es gelingt in fast allen Momenten sowohl die Spannung zu halten, als auch in regelmäßigen Abständen gehörige Lacher zu produzieren. Die Reise nach Inisherin wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet und das ist eine sehr gute Entscheidung.
Ein wiederkehrendes Thema im Film ist die Frage, ob das eigene Leben Großartiges erschaffen muss, oder ob es nicht völlig ausreicht, wenn man sich mit seiner Banalität zufriedengibt. McDonagh scheint als Antwort auf diese Frage einen Mittelweg gefunden zu haben und bettet in seine triviale Erzählung Momente der Großartigkeit ein, die eine explosive Mischung verursachen. Banshees of Inisherin wirkt zwar eine Nummer kleiner als seine früheren Werke, aber zieht genau hieraus seinen Charme und besticht durch leise Zwischentöne, clevere Charakterkonstellationen und nicht zuletzt durch subtile Mehrdeutigkeit. In McDonaghs übersichtlichem Film-Œuvre kann sich dieser Film vielleicht nicht ganz an die Spitze kämpfen – dafür machen Brügge und Three Billboards ihre Sache zu gut –, aber wer bereit ist, für jeden Witz auch eine Wunde in Kauf zu nehmen und sich noch Tage später in einem gemütlichen Pub ein paar Gedanken machen will, hat ein echtes Filmerlebnis in Aussicht. Möglicherweise ist die schrullige Farce über Freundschaft und geschlossene Türen wahrhaftiger und irischer, als es ein Schlachtenepos über den Bürgerkrieg je sein könnte. (kino-zeit.de)
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