Am 7.4. zeigt das Kinoptikum

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So. 11:00
THE ZONE OF INTEREST
GB/USA/PL 2023, 105 Min.
Regie: Jonathan Glazer
mit Sandra Hüller, Christian Friedel, Medusa Knopf
Das hochdekorierte Meisterwerk von der Banalität des Bösen
Trailer zu THE ZONE OF INTEREST
Weiterlesen... Bukolisch mutet das Leben an, das Hedwig (Sandra Hüller) und Rudolf Höß (Christian Friedel) führen, irgendwo in der polnischen Provinz, wo sie mit den Kindern an malerischen Seen baden, Geburtstag feiern, wo sie den Haushalt führt und er tagtäglich zur Arbeit geht. Er hat es nicht weit, denn direkt hinter dem schmucken Haus mit großem Garten, das die Familie bewohnt, erheben sich die Mauern von Auschwitz. Höß ist der Leiter des Konzentrationslager und als solcher – wenn man das in diesem Kontext so sagen darf und will – ausgesprochen erfolgreich. Zwischen Mai 1940 und November 1943 war er Kommandant des Lagers, dessen Name Synonym für die Vernichtungsmaschine der Nazis wurde, die mindestens sechs Millionen Juden ermordete.
All das ist weidlich bekannt, unzählige Bücher, Filme und andere künstlerische Versuche sind in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, die auf die ein oder andere Weise versuchten, das Unvorstellbare verständlich zu machen. Vor gut zehn Jahren erschien Martin Amis Roman „The Zone of Interest“, in dem der britische Skandalautor einen kaleidoskopartigen Blick auf das Leben diverser Menschen warf, die in und um Auschwitz lebten und arbeiteten. Diesen Roman hat nun Jonathan Glazer adaptiert, zum Glück nur lose, streng genommen kaum mehr als Amis’ erzählerischen Ansatz übernehmend, aber dankenswerterweise den Voyeurismus, den völlig unpassenden erotischen Blick des Romans ignorierend.
Glazers Film bleibt immer Außen, überquert nie die Mauern von Auschwitz, zeigt das nur scheinbar ganz normale Leben im Schatten des Grauens. Hedwig genießt den großen Graten, den sie liebevoll anpflanzt und stört sich scheinbar nicht am konstanten Wummern der Öfen, an gelegentlichen Schüssen, die über die Mauer hinüberwabern, auch nicht am Klang des Orchesters, das an der Laderampe spielt, um die neuen Gefangene in ein Gefühl der falschen Sicherheit zu wiegen. Nur gelegentlich bricht es aus ihr heraus, schnauzt sie eines ihrer Dienstmädchen an, was in diesem Fall besonders bedrohlich ist, denn es droht nicht der Rausschmiss, sondern das Gas.
Rudolf wiederum ist ein mustergültiger Nazi, der seine Aufgabe beflissentlich erfüllt und eifrig bemüht ist, den Vernichtungsprozess rationaler ablaufen zu lassen. Ein Vertreter sitzt da einmal bei ihm im Wohnzimmer uns stellt eine neue Idee für Brennöfen vor, die Höß begutachtet als würde es sich um neue Regale handeln.
In unbarmherzig scharfen Bildern zeigt Glazer diese Menschen, die es sich im Schatten des Grauens gemütlich eingerichtet haben. Weniger um die allzu oft zitierte Banalität des Bösens geht es dabei, als um das allzu menschliche Verhalten, unliebsame Dinge auszublenden. Erst ganz spät erlebt Höß in einem hellsichtigen Moment eine Art Vision, blickt in die Zukunft und sieht, wie im nun zur Gedenkstätte gewordenen Auschwitz die wenigen Überbleibsel der Vernichtungsmaschinerie ausgestellt werden. Dann ist der Moment vorbei und Höß geht weiter, geht wieder an die Arbeit, die er ausübt, als wäre es eine ganz normale.
Mit seinem vierten Spielfilm (Der in Cannes mit dem Großen Preis der Jury und dem Preis der Internationalen Filmkritik ausgezeichnet wurde) hat Jonathan Glazer einen außerordentlichen Film gedreht, formal und inhaltlich radikal, mit größter Präzision und zwei herausragender Schauspielern in den Hauptrollen. Ein Film, der gerade in Deutschland zum Pflichtprogramm werden sollte, in Schulen, aber auch darüber hinaus. (programmkino.de)
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So. 19:00
ONLY THE RIVER FLOWS  OmU
He bian de cuo wu – CHN 2023, 106 Min.
Regie: Wei Shujun
mit Zhu Yilong, Chloe Maayan, Hou Tianlai
Ein atmosphärischer Neo-Noir aus der chinesischen Provinz
Trailer zu ONLY THE RIVER FLOWS
Weiterlesen... Die 90er Jahre waren in China eine einigermaßen finstere Zeit: Viele Menschen standen noch unter dem Eindruck der gewaltsam niedergeschlagenen Proteste – unter anderem auf dem Tian‘anmen-Platz, dem Platz des himmlischen Friedens im Jahr 1989. Der Wirtschaftsboom war noch längst nicht in Sicht, eine Art stille Verzweiflung hatte sich wie Mehltau über das Land gelegt. Diese Stimmung fängt Wei Shujun perfekt ein, und in dieser beklemmenden Atmosphäre spielt die Geschichte von Inspektor Ma Zhe, der in einem Serienkiller-Fall ermittelt. Ein Mörder hat mehrfach in einem Dorf zugeschlagen und seine Opfer scheinbar wahllos getötet. Ma Zhes Vorgesetzte machen Druck, der Fall soll möglichst schnell erfolgreich abgeschlossen werden, doch Ma Zhe hat entschiedene Zweifel, dass der offensichtlich am meisten Verdächtigte, ein kognitiv herausgeforderter Mann, tatsächlich der Täter ist. Und Ma Zhe hat recht: Weitere grausame Morde geschehen, doch die ländliche Stadt Banpo, die Schauplatz dieser Verbrechen ist, gibt ihre Geheimnisse nur zögerlich preis. Je verbissener Ma Zhe ermittelt, desto verworrener wird der Fall. Schließlich kann der verwirrte Ermittler kaum noch zwischen Wahn und Wirklichkeit unterscheiden.
Die finstere Atmosphäre der Handlung – die noch verstärkt wird durch die Sorgen um das Baby von Ma Zhes Frau Bai Jie, das möglicherweise behindert zur Welt kommen wird – hat Kameramann Chengma Zhiyuan in eine kongeniale Bildersprache umgesetzt. Von Einstellung zu Einstellung wird sie düsterer, je mehr sich Ma The ins Dickicht seiner eigenen Ermittlungen verstrickt. Die Schauspieler, allen voran Zhu Yilong als getriebener Ermittler, überzeugen durch Understatement. Er zeigt die Einsamkeit eines Menschen, der hin und her gerissen wird von Zweifeln. Dabei wird kaum etwas klar ausgesprochen, vieles verharrt in Andeutungen, was tatsächlich sehr wirkungsvoll ist und den Eindruck eines Irrgartens verstärkt, in dem sich der Ermittler bewegt, ohne voranzukommen.
Letztlich ist „Only The River Flows“ eine Hommage an die rätselhaften Filme Jean-Pierre Melvilles und an die komplexe Erzählweise von Polanskis Meisterwerk „Chinatown“. Der eigentliche Kriminalfall erweist sich als Symptom für die Krankheit einer Gesellschaft – und er bleibt so lange unlösbar, wie die Gesellschaft nicht geheilt werden kann.
Inspektor Ma Zhe wird sich den Dämonen stellen müssen, die er beim Blick in die menschlichen Abgründe erblickt hat und die seine Vorgesetzten nicht sehen wollen. Und gleich nebenan warten vielleicht schon neue Albträume. (programmkino.de)
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