mit Alicia Vikander, Elizabeth Olsen, Himesh Patel
Elegante Sci-Fi-Studie zu den Herausforderungen der Elternschaft
Weiterlesen...Ein einsames Haus in einer Geröllwüste, in der Nähe ein Gewächshaus. Das ist die Welt, in der Mia (Elizabeth Olsen) und Aaryan (Himesh Patel) leben. Während sie aus den Algen des nahen Meeres die Nahrung produziert, die in dieser postapokalyptischen Welt zur Verfügung steht, experimentiert er mit künstlichen Wesen: In einem fast komplett schwarzen Raum versucht Aaryan etwa die Textur von Haut und Haaren eines Affen zu perfektionieren. Denn richtige Tiere gibt es nicht mehr, wie in einem Nebensatz deutlich wird: Die Nahrungsmittel waren knapp geworden, die Menschheit hatte sich entscheiden müssen. Eben deswegen ist auch die ungezügelte Fortpflanzung auf herkömmlichem Weg untersagt und wird von einer nicht näher benannten, aber doch offenbar mehr als mächtigen Instanz kontrolliert. Wer wie Mia und Aaryan ein konstruktives Mitglied der Gesellschaft ist, darf jedoch den Antrag stellen, ein Kind zu bekommen. Doch bevor es soweit ist muss eine siebentägige Prüfung überstanden werden. Zu diesem Zweck quartiert sich bald Virginia (Alicia Vikander) im Haus ein und beginnt mit dem Test. Auf die Frage, warum man denn unbedingt ein Kind haben möchte, auch wenn die Ressourcen in dieser nicht so wirklich schönen, neuen Welt begrenzt sind, finden Mia und Aaryan noch halbwegs überzeugende Antworten. Doch bald artet der Test aus, agiert Virginia wie ein renitentes Kleinkind, das am Küchentisch mit Essen um sich schmeißt, dann aber auch als verführerische Nymphe, die Aaryan vor eine schwere Gewissensprüfung stellt. Eine clevere Idee zu haben ist eine Sache, aus einer Idee auch einen runden Film zu machen, dessen Ende überzeugt aber eine ganz andere. Das Konzept und das Setting von „The Assessment“ erfüllen alle Anforderungen an einen originellen Film mit Leichtigkeit. In den kargen Weiten der Kanaren wurden die Außenaufnahmen gedreht, während das markante, von grellen Farben und markantem Design geprägte Innere des Hauses der Familie im Studio in Köln stand. Trotz der eingeschränkten Sets beweist die bislang nur für einige Musikvideos und Kurzfilme bekannte Regisseurin Fleur Fontané großes visuelles Gespür und steigert die Irritation der Grundkonstellation unaufhörlich. Mit Elizabeth Olsen und Himesh Patel, vor allem aber Alicia Vikander hat sie auch ein überzeugendes Darsteller-Trio zur Verfügung, das sämtlich Wendungen der zunehmend seltsamen Testreihe mit großer Ernsthaftigkeit mitgeht und ihre Figuren weit über jedes akzeptable, würdige Verhalten hinausgehen lässt. In was für einer Welt all das stattfindet wird dabei nur in Nebensätzen angedeutet. Offenbar wurde die Welt in eine neue und eine alte eingeteilt, wobei die neue zwar bessere Versorgung ermöglicht, aber auch ein unfreies Leben. Eine spannende, komplexe Welt scheint es da draußen zu geben, was die eigentliche Handlung des Films – ob der Babywunsch erfüllt wird oder nicht – dann doch etwas nichtig erscheinen lässt. Vielleicht deswegen öffnet „The Assessment“ in den letzten zehn Minuten dann doch den Blick, geht ins Außen, reißt philosophische Fragen an, die viel interessanter wirken, als vieles was vorher zu sehen war. So lebt der Film lange Zeit von seinem originellen Konzept, findet aber erst am Ende zu der inhaltlichen Komplexität, die starke dystopische Filme ausmachen. (programmkino.de)Ausblenden
Sa. 20:30
BALCONETTES DF
Les femmes au balcon – F 2024, 103 Min. Regie: Noémie Merlant
mit Souheila Yacoub, Sanda Codreanu, Noémie Merlant
Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs unter sengender Sonne
Weiterlesen...In seiner Exposition gibt sich Noémie Merlants Film heiter als Hitchcock-Plagiat zu erkennen. Eine Großstadt, hier Marseille, ächzt unter einer Hitzewelle; die Kamera erkundet mit raumgreifender Agilität die Fassaden eines Hinterhofes, blickt neugierig in diverse Fenster und betrachtet verschmitzt, wie die geplagten Stadtmenschen versuchen, die Hundstage zu überstehen. Aber stellen Sie sich eine Variante von »DAS FENSTER ZUM HOF« vor, in der James Stewart nicht Zeuge eines Mordes ist, sondern aus Fieberträumen erwacht und entdeckt, dass er des Nachts möglicherweise selbst zum Mörder wurde. Stellen Sie sich weiterhin vor, dass dies aus einer neofeministischen Perspektive erzählt wird – dann bekommen Sie eine Ahnung davon, was die Regisseurin von »BALCONETTES« im Schilde führt. Es ist ein wahrer Formwandler von einem Film, der als aufgekratzte Freundinnenkomödie beginnt, sodann in die Gefilde ulkig-verstörenden Körperhorrors umschwenkt und zeitweilig den Geisterfilm streift, um schließlich in ein quirliges Manifest der #MeToo-Bewegung zu münden. Das muss man sehen, um es glauben zu können. Vollends dingfest machen lässt der Film sich dennoch nicht.Im Zentrum steht ein Dreigestirn höchst unterschiedlicher Charaktere. Nicole (Sandra Codreanu), die man anfangs für die Erzählerin halten könnte (sie lernt kreatives Schreiben in einem Fernkurs) ist die Verhuschte in dieser Runde. Ruby (Souhella Yacoub) fällt der Part der Abgebrühten zu; sie verdient ihren Lebensunterhalt als Cam-Girl, und es trifft sich gut, dass Sex ihr jede Menge Spaß macht. Élise (Merlant) tritt zunächst als verpeilte Diva auf, die beim Einparken einen Wagen rammt und somnambul auf die Dreier-WG zutorkelt. Sie ist Schauspielerin, hat in Paris gerade einen Fernsehfilm über Marilyn Monroe abgedreht (was ihr glamouröses Kleid und die platinblonde Perücke erklärt), flieht vor einem zudringlichen Geliebten (oder Ehemann, das bleibt im Vagen) und überrascht in Krisensituationen durch Geistesgegenwart. Kompliziert wird das WG-Leben, als der fesche Nachbar von gegenüber die drei zu sich einlädt. Der demolierte Wagen gehört ihm; er entpuppt sich als prätentiöser Fotograf und hat ziemlich eindeutige Vorstellungen, wie der Schaden beglichen werden kann. Nicole ist heimlich in den Unbekannten verliebt, aber Ruby scheint geübter im Umgang mit männlicher Lüsternheit. Als die Dreierbande am Morgen aufwacht, verkatert wie nach einem schlechten Trip, steht sie vor zwei dringenden Aufgaben: die Ereignisse der vergangenen Nacht zu rekonstruieren und die Leiche des Fotografen zu entsorgen. Die Frage, wie er von seinem Stativ durchbohrt werden konnte, ist rasch beantwortet. Doch die Wirklichkeit gerät zusehends aus den Fugen. Die Adresse Rue Montplaisir Nr. 10 existiert übrigens wirklich in Marseille. Menschen mit Kastrationsangst werden in Zukunft wohl einen weiten Bogen um sie machen. Beim Zuschauen ahnt man, wie ausgelassen die Drehbuchautorinnen sich die Bälle zugeworfen haben müssen. Energisch bringen sie die Geschlechter in unversöhnliche Opposition zueinander. Nach dem fatalen Besuch in der Wohnung des Fotografen stehen die Männer unter Generalverdacht, Vergewaltiger zu sein. Weit schlüssiger ist, wie Merlant Weiblichkeit inszeniert. Sie unternimmt eine nachdrückliche Entzauberung vordergründiger Erotik. Ruby mag sie offensiv einsetzen, aber die Blöße ist kein Schauwert. Konventionen der Schicklichkeit werden ausgehebelt, Merlants Heldinnen sitzen auf dem Gynäkologenstuhl, sie treiben ab, haben Regelblutungen und Blähungen. Ihr Körper gehört ihnen. Das lässt sie zu stolzen Stellvertreterinnen werden. Als das langersehnte Gewitter über Marseille ausbricht, zeigen sich dessen Bewohnerinnen in einer Nacktheit, die fröhlich entsexualisiert ist: eine Idylle, an die sich Männeraugen erst gewöhnen müssen. (epd-film)Ausblenden