Am 20.6. zeigt das Kinoptikum

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Fr. 18:00
OSLO STORIES: LIEBE  OmU
Kjærlighet – N 2024, 119 Min.
Regie: Dag Johan Haugerud
mit Andrea Bræin Hovig, Tayo Cittadella Jacobsen
Norwegische Nouvelle Vague zum modernen Beziehungsstatus
Trailer zu OSLO STORIES: LIEBE
Weiterlesen... Es beginnt an einem Ort, der kaum weniger sinnlich sein könnte: Ein Behandlungsraum in einem Krankenhaus, ausgerechnet die Urologie. Hier erfahren Männer, dass sie Prostatakrebs haben. Und auch wenn die Ärztin Marianne (Andrea Bræin Hovig) sich um Optimismus bemüht trifft die Nachricht, zukünftig vielleicht nicht mehr zu Erektionen fähig zu sein, natürlich hart. Bei den Gesprächen sitzt der Krankenpfleger Tor (Tayo Cittadella Jacobsen) im Hintergrund, hört zu, bemüht sich, den Patienten Trost zu spenden.
Später, auf einer Fähre zwischen dem Festland Oslos und den der norwegischen Hauptstadt vorgelagerten Fjorden, begegnen sich Marianne und Tor wieder. Sie kommen ins Gespräch, man mag an den Beginn einer erotischen Begegnung denken, doch schnell stellt sich heraus, dass Tor homo- und Marianne heterosexuell ist. Tor berichtet, dass er die Fähre gerne als Ort benutzt, um Männer kennenzulernen, für schnellen Sex, nicht mehr. An einer Beziehung ist er nicht interessiert, ein Konzept, das Marianne fasziniert. Sie kommt gerade von einem Treffen mit Ole (Thomas Gullestad), einem nicht lange geschiedenen Mann, der ihr gefällt, aber mit dem sie sich keine Beziehung vorstellen kann.
Bei einer Fahrt mit der Fähre lernt Tor via der Dating-Sex-App Grindr wiederum Bjørn (Lars Jacob Holm) kennen, einen älteren Mann, der kein Interesse an Sex hat. Eine Aussage, die Tor fasziniert, erst recht, nachdem er Bjørn zufällig im Krankenhaus wiedersieht. Langsam entwickelt sich zwischen den Männern eine intime Nähe, die völlig losgelöst von Fragen des Sex oder einer Beziehung scheint, während Marianne sich in Formen der Sexualität ausprobiert, die nach konventionellen Maßstäben eher als homosexuell definiert werden.
Ein weiterer markanter Schauplatz von „Oslo Stories: Liebe“ ist das Rathaus der Stadt, ein markanter modernistischer Bau direkt am Hafen, geprägt von Figurengruppen, die unterschiedliche Typen repräsentieren. Hier versucht eine Freundin Mariannes eine Veranstaltung zu einem Jubiläumsfest zu organisieren, die auf reichlich plakative Weise betonen soll, wie progressiv Norwegen doch sei.
Genau diese Freundin war es auch, die Marianne mit Ole verkuppeln wollte und sich nun wenig begeistert zeigt als Marianne berichten, nur Sex von Ole zu wollen. In der Theorie progressiv zu aggieren ist eben doch etwas ganz anderes, als auch gegenüber Freundinnen ähnlich offen zu sein. Ganz beiläufig umkreist Dag Johan Haugerud sein Thema, versteckt in den langen Dialogszenen kleine, unterschwellige Erkenntnisse und Wahrheiten. Leicht wirkt der Film, der im warmen Licht der Augustsonne spielt, die die Ecken und Kanten der Stadt besänftigt und leicht übersehen lässt, wie genau Haugerud seinen Film konstruiert hat.
Dass er eher von der Literatur als vom Kino kommt, dass seine Stärke eher die Worte als die Bilder sind lässt sich nicht bestreiten. Alle drei Filme seiner „Oslo Stories“ sind sehr redselig, geprägt von langen Dialogpassagen, weniger von markanten Bildern. Doch die Genauigkeit seiner Beobachtungen, die Komplexität der Figuren und der Emotionen lässt dieses Manko vernachlässigenswert erscheinen. Was Haugerud hier über Beziehungen und Begehren, Sex und Liebe erzählt wirkt höchst aktuell, progressiv und weit weg von konventionellen Blicken auf hetereo- und homosexuelle Beziehungen. (programmkino.de)
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Fr. 20:00
SOUNDTRACK TO A COUP D´ETAT  OmU
Horizont:Innen – B/NL/F 2024, 150 Min.
Regie: Johan Grimonprez
Eine echte „Freedom Suite“ rund um Jazz, Politik und Geschichte
Trailer zu SOUNDTRACK TO A COUP D´ETAT
Weiterlesen... Jazz ist mehr als Musik. Jazz ist durch und durch politisch. Das gilt besonders für die späten 1950er- und die 1960er-Jahre: In der Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde der Jazz zur politischen Waffe mit verschiedenen Stoßrichtungen – national und global. Die mal treibenden, mal melancholischen, mal wütenden, mal anklagenden Klängen des Bebob und des Cool Jazz von Größen der Zeit wie Dizzy Gillespie, Max Roach, Abbey Lincoln, Duke Ellington und Louis Armstrong strukturieren und prägen den essayistischen Dokumentarfilm „Soundtrack to a Coup d‘Etat“ des belgischen Videokünstlers Johan Grimonprez.
Zentrales Thema des Films sind die politischen Entwicklungen der Dekolonisierung der späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre, insbesondere die Ereignisse rund um die Unabhängigkeit des Kongo im Jahr 1960. In diesem Jahr wurden mehrere afrikanische Länder in die Unabhängigkeit entlassen. Im Kongo kristallisierte sich aber schnell ein Stellvertreterkonflikt des Kalten Kriegs heraus. Zudem verfolgte die frühere Kolonialmacht Belgien weiterhin wirtschaftliche Interessen im Land und arbeitete mit der amerikanischen Regierung und der CIA zusammen. Schon kurz nach der Unabhängigkeit des Kongo wurde der gewählte Ministerpräsident Patrice Lumumba aus dem Amt geputscht und dann mit Unterstützung der CIA und belgischer Armeekreise ermordet. Auch der damalige belgische König Baudouin I. soll von dem Mord gewusst und ihn gebilligt haben. Wenige Monate zuvor hatte Lumumba in seiner Rede zur Unabhängigkeit des Kongo im Beisein Baudouins die belgische Kolonialpolitik hart angeklagt.
Der Film erzählt das überwiegend mit Bildern der Zeit. Recht rastlos und ohne Off-Kommentar fächert er die Entstehung der blockfreien Staaten auf, und schildert die Geschichte der Unabhängigkeit des Kongos und der Ermordung Lumumbas. Textzitate von Beteiligten, Zeitzeugen und andere historische Quellen machen Grimonprez‘ Essayfilm zu einem Stück gewissenhaft recherchierter Geschichte, die viel Aufmerksamkeit abverlangt.
Verbunden wird diese Chronologie mit Bildern der berühmten UN-Vollversammlung 1960, bei der die neuen unabhängigen Staaten Afrikas in die UNO aufgenommen wurden und Chruschtschow mit dem Schuh auf sein Pult geschlagen haben soll. Schwarze Aktivisten wie Malcom X verfolgten die Ereignisse, und auch die Jazz-Szene zeigte sich politisiert. Nach der Ermordung Lumumbas stürmten 60 Aktivisten rund um die Jazzer Abbey Lincoln und Max Roach die Vollversammlung. Hier ergibt sich der „Soundtrack zum Staatsstreich“. Der Film macht die komplexe Situation deutlich, in der sich die schwarzen Musiker befanden: Viele von ihnen waren auch als Jazz Ambassadors im Auftrag der amerikanischen Regierung in der Welt unterwegs, um so den Kalten Krieg um hearts and minds für die USA zu gewinnen. Louis Armstrong war ausgerechnet zur Zeit des Putsches im Kongo auf Tournee und vertrat sein Land, in dem immer noch Rassentrennung herrschte.
Der Film ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. Grimonprez stellt sich der schrecklichen Rolle, die sein Heimatland viele Jahrzehnte im Kongo gespielt hat und wirft neue Schlaglichter auf eine weniger bekannte Episode des Kalten Kriegs. In seinen medialen Collagen übernimmt er aber unreflektiert die Rolle Chruschtschows, der lauthals vor der UNO-Vollversammlung das Recht der vormals kolonisierten Ländern auf Selbstbestimmung forderte, diese Freiheit aber den Ostblock-Staaten nicht zugestand und mit dem Einmarsch in Ungarn 1956 aktiv zur Niederschlagung der Freiheitsbewegungen dort beitrug.
Ähnlich wie zuletzt Andres Veiel mit Riefenstahl lässt Grimonprez Bilder und Interviewte für sich sprechen, bezieht aber durch die Montage und den kommentierenden Jazz-Soundtrack eindeutig Stellung. Duke Ellington soll einmal gesagt haben, dass Jazz Freiheit sei. Das Freiheitsstreben in Afrika und die Bürgerrechtsbewegung in USA werden so von Grimonprez durch die Politik des Jazz auf komplexe Art miteinander verwoben. (kino-zeit.de)
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