Pünktlich zur Inauguration dann doch noch: Damit am Ende niemand behaupten kann, von nichts gewusst zu haben.
Weiterlesen...Nun ist es soweit. Obwohl Ali Abbasis neuer Film „The Apprentice“ nichts mit der dystopisch anmutenden politischen Gegenwart zu tun hat und sich jeden direkten Kommentar zu Trumps erratischem politischem Wirken verkneift, so ist er dennoch brandaktuell und wirkt wie eine Art Prequel oder Origin Story zu dem Mann, der spätestens seit 2016 die Welt in Atem hält. Durchaus absichtsvoll beginnt The Apprentice mit dem Auftritt Richard Nixons, der bei einer Pressekonferenz wider besseren Wissens beschwören wird, dass er kein Gauner sei — eine Behauptung, die wenig später durch die Watergate-Affäre widerlegt werden wird. Ein Auftakt, der den Ton setzt für das, was das Publikum in den nächste knapp zwei Stunden erwartet. Angereichert wird diese zeitgeschichtliche Verortung in den 1970er Jahren von fiebrig-impressionistischen Bildern, die New York in jener Zeit als wahren Moloch als Verbrechen, Armut und Niedergang zeichnen. Zu dieser Zeit ist Donald Trump (Sebastian Stan) noch ein recht unbedarfter Kerl, der Mühe hat, sich aus der Umklammerung seines gestrengen Vaters Fred (Martin Donovan) zu lösen. Die gelingt ihm erst, als er in einer New Yorker Bar den berühmt-berüchtigten Anwalt Roy Cohn (Jeremy Strong) kennenlernt, der den unverbrauchten Neuling, der auf Geheiß seines Vaters die Mieten im heruntergekommen Immobilienbesitz der Trumps noch selbst eintreiben muss, unter seine Fittiche nimmt. Cohn ist eine schillernde Figur, ein knallharter Anwalt, der früher unter Senator McCarthy Hatz auf vermeintliche Kommunisten machte und der jeden noch so schmutzigen Trick kennt und auch gnadenlos anwendet — Erpressung inklusive. Von ihm lernt Donald vor allem die drei Prinzipien, die er später in seinem Buch „The Art of the Deal“ als seine eigenen ausgeben wird: „1. Angriff, Angriff, Angriff!, 2. Gib nichts zu, leugne alles, 3. Beanspruche immer den Sieg für dich, gestehe niemals eine Niederlage ein.“ Drei Prinzipien, die bis heute für Trump gelten und die man jederzeit an ihm beobachten kann. Doch mit der Zeit wächst Trump über seinen eigentlichen Schöpfer hinaus, verschlingt das Monstrum, dessen Entstehung wir hier beobachten können, seinen Mentor und wird diesen bei dessen Abstieg in Krankheit und Tod schmählich fallenlassen. Schließlich passt dessen HIV-Erkrankung und niemals öffentlich eingestandene Homosexualität, von der Trump durchaus wusste, nicht in das Bild des Saubermanns. Diese finale Wendung macht aus dem nuanciert gespielten Drama dann am Ende eine nahezu episch anmutende Tragödie um Loyalität, Macht und Verrat, die weit darüber hinaus geht, nur das Psychogramm eines mächtigen Mannes zu zeichnen, dem der Film auf Umwegen über die Vergangenheit hinter die Maske schaut. Border (2018), Holy Spider (2022) und nun also The Apprentice: Drei Filme aus der Hand eines Regisseurs, die sich alle völlig anders anfühlen. Eines aber eint sie auf alle Fälle, bei aller Unterschiedlichkeit in Thematik, Genre, Erzählton und Ästhetik: Jeder neue Film von Ali Abbasi macht neugierig, begeistert, lässt staunen über so viel Talent, so präzisem Bespielen unterschiedlichster Klaviaturen, so großem Vermögen, seinen Darsteller*innen große Kunst zu ermöglichen. Sebastian Stans Leistung in The Apprentice ist aber keine monolithische, sondern wird ergänzt, begleitet, befeuert und konterkariert von Jeremy Strong, der als Trumps Mentor und Einflüsterer Roy Cohn seinem Gegenüber mindestens ebenbürtig ist. Andres als dieser, der noch im Werden begriffen ist, dessen spätere Marotten, Grimassen und Eigenarten Stan mit leichter Hand und sehr nuanciert in Mikrodosierung einfließen lässt, ist Strongs Cohn aus anderem, härterem Holz geschnitzt: Eher klein und drahtig, stets im edlen Gewand, die grauen Haare kurzgeschoren und den Mund stets leicht geöffnet, um prompt die nächste aggressive Attacke zu reiten und die nächste Unverschämtheit in die Welt schleudern zu können, ist der Anwalt mit den zwielichtigen Methoden ein Mann voller antrainierten Marotten, die ihn zu einem gefürchteten Gegner machen. Nein, The Apprentice wartet mit keinen großartigen neuen Erkenntnissen über Donald Trump auf. Vielmehr sehen wir hier einen jungen, unfertigen und im Grunde seines Herzens zutiefst verunsicherten Mann, der alle Skrupel über Bord wirft und an dessen sowieso recht zweifelhaften „Prinzipien“ nichts originell oder auf seinem eigenen Mist gewachsen ist. Der spätere Donald Trump, der sich hier in vielen kleinen Details andeutet, ist kein Selfmade-Man, wie er es selbst gerne immer wieder betont: seines Vaters, seines Mentors und einer Gesellschaft, die in jener Zeit die Gier zum obersten Prinzip erhob. (kino-zeit.de)Ausblenden
Do. 20:30
DIE LEISEN UND DIE GROSSEN TÖNE frz. OmU
En Fanfare – F 2024, 103 Min. Regie: Emmanuel Courcol
mit Benjamin Lavernhe, Pierre Lottin, Sarah Suco
Die späte Begegnung zweier Brüder im Bann der Blasmusik
Weiterlesen...Bei vielen Filmen lässt sich die Marschrichtung schnell vorhersehen. Der Regisseur Emmanuel Courcol, der in seiner vorherigen Kinoarbeit „Ein Triumph“ (2020) vom Versuch einer Resozialisierung durch eine Theaterinszenierung erzählte, liefert mit seiner Tragikomödie „Die leisen und die großen Töne“ indes ein Werk, das mit seinen dramaturgischen Entscheidungen immer wieder überrascht: Vom existenziell Bedrohlichen wirft er uns energisch in die Wohlfühl-Ecke; per Schleudersitz geht es unvermutet zurück in die Krise, um dort erneut das verblüffend Schöne zu entdecken. Das Drehbuch, das Courcol zusammen mit Irène Muscari und Khaled Amara verfasst hat, erlaubt sich einige Sprünge, verzichtet auf Standardsituationen und vermeidet dadurch etliche Klischeefallen. Zunächst lernen wir Thibaut (Benjamin Lavernhe) kennen – einen international renommierten Dirigenten. Als er bei einer Probe plötzlich ohnmächtig wird, muss er erfahren, dass er an Leukämie erkrankt ist. Er benötigt eine Knochenmarkspende. Doch seine jüngere Schwester Rose (Mathilde Courcol-Rozès) erweist sich als nicht kompatible Spenderin, da sie – hoppla! – gar nicht wirklich mit ihm verwandt ist. Wie sich herausstellt, wurde Thibaut einst adoptiert. Während er bei einer wohlhabenden Familie landete, wuchs sein ebenfalls zur Adoption freigegebener Bruder Jimmy (Pierre Lottin) in einfachen Verhältnissen im Norden Frankreichs bei der Pflegemutter Claudine (Clémence Massart) auf. Die beiden Männer treffen aufeinander – und alles scheint nun darauf hinauszulaufen, dass sich zwei sehr unterschiedlich wirkende Menschen irgendwie näherkommen und der eine dem anderen das Leben retten kann. Mit diesen narrativen Formeln will sich Courcol allerdings gar nicht lange beschäftigen. Die Knochenmarkspende erfolgt; Thibauts Leben kann erst einmal weitergehen – und die auf den ersten Blick so gegensätzlichen Brüder erkennen bald, dass sie sich ähnlicher sind, als anfangs geahnt. Denn auch Jimmy, der in einer Schulküche jobbt, ist musikalisch begabt: Er spielt Posaune in einer Blaskapelle, die überwiegend mit Amateur:innen besetzt ist. Da deren Dirigent gerade abhandengekommen ist, könnte Thibaut (gewissermaßen als Dankeschön für die Knochenmarkspende) den Posten übernehmen, um die Truppe auf einen nationalen Wettbewerb vorzubereiten. Wer an dieser Stelle glaubt, dass sich Die leisen und die großen Töne jetzt auf die Konventionen und Stationen eines Wettbewerb-Films einlassen möchte, irrt sich gewaltig. Zum Glück. Courcol und seine beiden Hauptdarsteller Benjamin Lavernhe und Pierre Lottin erzeugen vor der Kamera viele einnehmende Momente, um die den Umständen entsprechend recht holprige Brüderbeziehung einzufangen – etwa wenn das Duo beim Dalida-Hit Monday Tuesday… Laissez-moi danser die geteilte Musikbegeisterung feiert, obwohl die Handlung doch gerade eigentlich einen ganz anderen Pfad einschlagen wollte. Thibaut denkt über die Ungerechtigkeit des Schicksals nach, über Chancen, die ihm gegeben wurden und Jimmy verwehrt blieben. Nebenbei zeichnet der Film ein stimmiges Bild der Lebenswelt von Jimmy und von dessen Band-Kolleg:innen. Eine komplizierte Liebelei, ein Streik in einer Fabrik und ein Finale, das die Musik als Mittel der Kommunikation zeigt – all das verbindet der Co-Autor und Regisseur zu einer Erzählung, die in ihren zahlreichen Brüchen nie ihre eigene emotionale Logik aus den Augen verliert. (kino-zeit.de)Ausblenden