Am 9.1. zeigt das Kinoptikum

Datum Home
Do. 18:00
NEUIGKEITEN AUS LAPPLAND
Ohjus – FIN/EST 2024, 119 Min.
Regie: Miia Tervo
mit Oona Airola, Pyry Kähkönen, Hannu-Pekka Björkman
Finnischer Feinsinn voll schräger Figuren am Polarkreis
Trailer zu NEUIGKEITEN AUS LAPPLAND
Weiterlesen... Es ist immer irgendwie verdächtig, wenn man vom eigenen Autoanhänger überholt wird. Genau das passiert Niina, als sie mit ihren beiden Kindern und dem frisch geschlagenen Weihnachtsbaum zurück nach Hause fährt. Leider kann Niina weder den Anhänger noch das Unglück aufhalten – er kracht mitsamt dem schönen Baum ungebremst ins Schaufenster der „Lappland News“, der einzigen Zeitung im weiten Umkreis. Um den Schaden wieder gutzumachen, bietet Niina dem verlotterten Chefredakteur des Käseblättchens an, dass sie für ihn Artikel schreibt. Er willigt ein, doch Niinas erste Gehversuche als Reporterin sind eher unbeholfen. Angesichts der Tatsache, dass der meistgelesene Artikel im letzten Jahr davon handelte, dass Aimi Pirkola beim Eisangeln einen Strumpf verloren hat, muss Niina auch ihre Ansprüche an eine interessante Story etwas zurückschrauben. Ihre große Stunde schlägt, als sie eines Nachts einen ohrenbetäubenden Knall hört. Da muss was abgestürzt sein, denkt Niina und beginnt ihre Recherchen. Während sie immer mehr Indizien dafür entdeckt, dass eine sowjetische Rakete in den vereisten See gestürzt ist, wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt: Niinas Ex-Mann wird aus der Haft entlassen und meldet Ansprüche an. Das könnte Ärger bedeuten, nicht nur, weil sich Niina mittlerweile in den feschen Militärpiloten Kai verliebt hat, sondern auch, weil sie inzwischen gelernt hat, Nein zu sagen.
Die Handlung entwickelt sich durch zahllose verzwickte Verwicklungen zu einer komplexen Geschichte mit zunächst einmal viel Situationskomik und originellen Charakteren: Da ist der Zeitungschef Esko, ein äußerlich verwahrloster Typ mit dem schlimmsten Vokuhila aller Zeiten, der hinter seiner Ruppigkeit ein sehr weiches Herz versteckt. Ebenfalls originell, allerdings deutlich weniger sympathisch ist Tapio, Niinas Ex-Mann, der sich sofort nach der Entlassung aus dem Knast in Niinas Wohnzimmer breitmacht und sich an die beiden Kinder ranmeiert. Niinas resolute Schwester Kaisa, die nicht nur Haare auf den Zähnen hat, sondern auch schon mal kräftig zulangen kann, schmeißt ihn achtkantig raus. Tapio lässt jedoch nicht locker und schreckt nicht einmal davor zurück, vor Niina auf die Knie zu gehen, um sie wieder zurückzugewinnen. Angeblich ist er jetzt ein ganz anderer Mensch. Keine Gewalt mehr, auch nicht gegenüber Niina. Kann sie ihm wirklich trauen?
So wie Niina sich zu Anfang verhält, ist sie beinahe das perfekte Opfer. Oona Airola spielt sie sehr gut als Frau, die jede Gemeinheit hinnimmt wie einen unvermeidbaren Schicksalsschlag, schweigend und geduldig, sie ist hochgradig unsicher und lässt sich ohne Gegenwehr beleidigen. Und sie kommt damit keinen Zentimeter weiter, denn die Zahl der Menschen, die Respekt vor ihr haben, ist erschütternd niedrig.
Das wirft interessante Parallelen auf: Niina, die Frau, die sich eigentlich prinzipiell nicht zur Wehr setzt, wenn man sie körperlich oder seelisch verletzt, verhält sich ähnlich wie das Land, in dem sie lebt. So wie Niina sich von ihrem Ex-Mann und von allen möglichen und unmöglichen anderen Leuten, meistens Männern, schlecht behandeln bis unterdrücken lässt, geht es im Grunde auch ganz Finnland. 1500 Kilometer Grenze zur Sowjetunion machen das Land angreifbar und verletzlich, aber da wird dann eben lieber geschwiegen und still erduldet als protestiert. So wird der Film zur Parabel, denn so ist auch Niina, allerdings findet sie für sich selbst heraus, dass es so nicht weitergehen kann. Sie ändert sich – ein ziemlich schmerzlicher Prozess – für sich selbst und für ihre Kinder. Dabei hilft ihr die neue Arbeit: Schreiben als Problembewältigung und als Katalysator für mehr Mut und Selbstvertrauen.
Auch wenn der Schluss eher leise ist: Dieser Film hat neben seinem vermutlich typisch lappländischen Rustikalhumor, der leicht düsteren Komödienatmosphäre und einer turbulenten Handlung noch eine ganze Menge mehr zu bieten. Zum Beispiel einen der schönsten Filmanfänge der letzten Jahre sowie einen hammerharten Gag, der mit einem Kassettenrekorder und einem Modern Talking-Hasser zu tun hat. Unfassbar komisch! (programmkino.de)
Ausblenden

Do. 20:30
ELEMENT OF CRIME IN WENN ES DUNKEL UND KALT WIRD IN BERLIN
MonatsDoku – D 2024, 90 Min.
Regie: Charly Hübner
Da capo: Zwei Zusatztermine mit den „Elements“
Trailer zu ELEMENT OF CRIME IN WENN ES DUNKEL UND KALT WIRD IN BERLIN
Weiterlesen... Vor fast 40 Jahren, 1985, gründete Sven Regener gemeinsam mit Jakob (Ilja) Friederichs, Paul Lukas, Jürgen Fabritius und Uwe Bauer die nur schwer in Genreschubladen einzuordnende Band Element of Crime. Von der ursprünglichen Besetzung sind zwar heute nur noch Regener und Friederichs Teil der Band, melancholische, Singer-Songwriter-esque Rockmusik schreiben und spielen sie aber auch heute noch.
In Gedenken an den 2022 verstorbenen Bassisten und langjährigen Produzenten David Young, der zwanzig Jahre lang ein integraler Teil der Berliner Band war, hat Charly Hübner (Wildes Herz) die aktuelle Besetzung der Band bei ihrer fünf Konzerte langen Berlin-Tour 2023 begleitet. Als großer Fan der Band führt er selbst Regie, stellt genau die Fragen, die man als Fan beantwortet hören möchte, und steht regelmäßig selbst neben den Bandmitgliedern vor der Kamera. Die Tour durch den Privatclup, das Lido, das SO36, den Admiraspalast und die Spandauer Zitadelle dient nicht nur als roter Faden für die Dokumentation, sondern auch für die Geschichte der Band. Vom kleinen Club zur großen Open-Air-Location arbeiten Element of Crime ihre eigene Historie auf: Wie kam es zur Gründung der Band, nachdem sich Neue Liebe aufgelöst hatten? Wer nimmt welche Rolle in der Band ein? Wie geht man mit Meinungsverschiedenheiten um und wie kam es zum Wechsel von englischsprachigen zu deutschen Texten? Hübner genießt es dabei sichtlich Zeit mit der Band verbringen zu können, deren Musik er schon so lange verfolgt. Das „abnerden“ über spezifische Abende in den 90ern oder die Querverbindungen zu anderen Bands überträgt die Begeisterung auf die Zuschauer*innen, egal ob man selbst bereits Fan der Band ist oder noch nie zuvor von ihr gehört hat. Wenn Nostalgie und Realität verschwimmen, bleibt die Leidenschaft für die Musik.
Zwischen den Fragen, die anekdotisch an Küchentischen, auf Parkbänken oder in Berliner Kneipen beantwortet werden, streut Hübner immer wieder ganze Songs der wie nebenbei mitgefilmten Konzertaufnahmen ein. Die alltägliche Banalität, die Regeners Songtexte dominiert, färbt auch die Stimmung der Dokumentation. Und auch die fünf von Element of Crime ausgewählten Vorgruppen, unter anderem Isolation Berlin und Von wegen Lisbeth, bekommen in der Dokumentation eine Bühne geboten. Ganze Songs aus ihren Auftritten werden gegen kurze Interviews geschnitten, um nicht nur über Einflüsse der Elements zu sprechen, sondern sie direkt hörbar zu machen.
Neben Archivaufnahmen alter Auftritte, Musikvideos und Bildern, die mit großartigem Timing in die Dokumentation eingewoben sind, wird auch mal ein ganzer Soundcheck der Band gezeigt, bei dem mehr schiefläuft, als letztendlich gelingt. Hübner macht die Chemie der Band erlebbar und fängt ihre zwischenmenschlichen Dynamiken so natürlich wie möglich ein. Auch wenn so einige Fragen zu kurz kommen und das anekdotische häufig gegen die tiefgehenden Gespräche überwiegt, fängt Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin allem voran die Musik der Band, ihre Stimmung, die einzigartige Attitüde und ihre musikalischen Einflüsse mit Leidenschaft, aber frei von Pathos, ein.
„Da geht am Ende viel daneben — So wie überall im Leben — Wer nicht mehr stehen kann fällt hin — Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ (kino-zeit.de)
Ausblenden