Cinema italiano – IT/CH 2024, 106 Min. Regie: Margherita Vicario
mit Galatea Bellugi, Carlotta Gamba, Veronica Lucchesi
Keusches Film-Musical auf inbrünstiger Reise durch die Musikgeschichte
Weiterlesen...Venedig, Anfang des 19. Jahrhunderts: In dem verwahrlosten, heruntergekommenen Waisenhaus St. Ignazio ist die stumme Teresina eines von vielen Mädchen unterschiedlichen Alters. Doch während die anderen Mädchen im Chor singen dürfen und lernen, Musikinstrumente zu spielen, muss Teresina wie Aschenputtel die miesesten Arbeiten verrichten. Niemand in ihrer Umgebung ahnt, dass Teresina in Wahrheit sehr talentiert ist – sie ist ein musikalisches Genie. Die Geräusche, von denen sie überall umgeben ist, verdichten sich für sie zu einer sich immer mehr steigernden, wunderbaren Alltagssinfonie: knarzende Wagenräder, das Klatschen der nassen Wäsche, wenn sie auf die Zuber geschlagen wird, das Klacken der Schöpfkellen in der Küche, das rhythmische Kratzen der Schwämme, mit denen die Kupferkessel geputzt werden … und hin und wieder auch mal ein Nieser. Eines Tages entdeckt Teresina beim Putzen eine rätselhafte Kiste, die der konservative und bigotte alte Priester Perlina vor den Mädchen versteckt hält. Darin findet sie tatsächlich ein hochmodernes Pianoforte. Sie beginnt heimlich darauf zu spielen und wird dabei von anderen Mädchen entdeckt. Alle wollen nun das Pianoforte ausprobieren. Vor allem die ehrgeizige Giulia, die selbst komponiert, meldet ihre Ansprüche an. In nächtlichen Geheimsessions entwickelt sich aus der anfänglichen Konkurrenz zwischen den Mädchen eine inspirierende, kreative Freundschaft, die dazu führt, dass sie alle musikalisch zu neuen Höhenflügen gelangen. Alle diese jungen Frauen, die eigentlich keine Chance haben, träumen vor dem Hintergrund der französischen Revolution und der Hoffnung auf Freiheit von einer rosigen Zukunft in einem selbstbestimmten Leben. Tatsächlich droht ihnen entweder die Zwangsverheiratung oder ein Leben hinter Klostermauern. Die Musik wird für sie alle immer mehr zum Eintritt in eine andere Welt, in der sie mutig und stark sind. Sie experimentieren gemeinsam mit Klängen und Rhythmen, entdecken nebenbei schon mal 200 Jahre früher den Jazz, den Rock’n Roll und die Popmusik und entfernen sich immer mehr von den Geboten der Klassik und von ihrem Lehrmeister Perlina, der von ihrem Treiben nichts ahnt. Er ist gerade dabei, eine Sinfonie zu Ehren des neuen Papstes zu komponieren, der anlässlich seiner Ernennung in St. Ignazio vorbeikommt. Margherita Vicario spielt in ihrem musikalischen Märchen lustvoll mit Anachronismen. Dafür mixt sie die historisch verbürgten Tatsachen, wozu auch die venezianischen Mädchenorchester gehören, mit dramatischen Handlungselementen – von der heimlichen Liebe über die ungewollte Schwangerschaft bis zum erpresserischen Lover – und peppt auf diese Weise ihr Kostümdrama mit vielen kleinen Nebengeschichten auf. Sie durchwirkt das Ganze mit viel eingängiger Musik und macht schließlich daraus ein sowohl musikalisches als auch feministisches Bekenntnis. Damit möchte sie all die unbekannten Frauen würdigen, die seinerzeit und nicht nur in Venedig ihre Kreativität nicht öffentlich ausleben durften. Vicario nennt sie „gepresste Blumen“: verborgen zwischen den Seiten der Musikgeschichte, die vor allem von Männern geschrieben wurde. Mit einem atemstockend grandiosen Finale feiert sie diese Frauen und ihre rebellischen Zukunftsvisionen. (programmkino.de)Ausblenden
So. 15:30
MAMA MUH UND DIE GROSSE WEITE WELT
KinderKino – Mamma Mu hittar hem – S/NL 2021, 65 Min. Regie: Christian Ryltenius, Tomas Tivemark
Eine Kuh macht Muh, und die Krähe kräht dazu
Weiterlesen...Wer Mama Muh kennt, weiß, dass sie eine ziemlich ungewöhnliche Kuh ist. Und darauf ist sie auch mächtig stolz. Die ermutigenden Geschichten um die abenteuerlustige Kuh und Krähe von Autorin Jujja Wieslander und Illustrator Sven Nordqvist, kommen auf die große Leinwand. Auf ihrem Bauernhof trifft Mama Muh auf eine Storch-Dame, die gerade nach einem langen Flug aus dem südlichen Afrika angekommen ist. Mama Muh liebt es, von all den aufregenden Orten und Sehenswürdigkeiten zu hören, die sie auf ihrem Weg passiert hat. Krähe, etwas eifersüchtig auf den Neuankömmling, zeigt sich nicht so beeindruckt und meint, dass sie all das und noch viel mehr hier in ihrem Zuhause haben. Ein „Zuhause“ ist jedoch kein Konzept, mit dem ein Zugvogel vertraut ist. Jetzt ist es an Krähe aufzutrumpfen. Ihr Stolz schlägt jedoch bald in Verzweiflung um, als sie merkt, dass Storch dieses schöne Heim nun mit ihr teilen und bei ihr einziehen möchte. Und Mama Muh fragt sich unterdessen, ob da draußen in der großen, weiten Welt nicht doch noch mehr auf sie wartet, als bisher vermutet und begibt sich auf ein großes Abenteuer. Als ein weit gereister Storch auf dem Bauernhof auftaucht, stellt sich für Mama Muh die Frage: Was ist eigentlich ein Zuhause? Wie kann sie sicher sein, dass die Wiese und der Bauernhofwirklich ihr Zuhause sind? Was ist, wenn es irgendwo anders in dieser großen, weiten Welt etwas Besseres gibt? Krähe kämpft darum, seiner Freundin zu zeigen, dass das Gras auf der anderen Straßenseite nicht grüner ist - aber manchmal muss man sich verirren, um den Weg nach Hause zu finden.(Verleih)Ausblenden
So. 19:00
DER VERLORENE ZUG
Landshut im Nationalsozialismus – Lost Transport – NL/LUX/D 2023, 101 Min. Regie: Saskia Diesing
mit Hanna van Vliet, Eugénie Anselin, Anna Bachmann
Eine zutiefst menschliche Begegnung in unmenschlichen Zeiten
Weiterlesen...Im April 1945 verlassen drei Züge das KZ Bergen-Belsen, kurz bevor die britische Armee das Lager befreit. In jedem der Züge befinden sich mehr als 2000 Menschen, im Nazi-Jargon „Austauschjuden“ genannt, weil sie als Geiseln im Tausch gegen Kriegsgefangene und Devisen dienen sollen. Ihr Ziel ist das KZ Theresienstadt. Lediglich einer der Züge erreicht sein Ziel. Der erste Transport wird nach etwa einer Woche von amerikanischen Truppen befreit. Der letzte Zug irrt fast zwei Wochen durch Mitteldeutschland, bis er schließlich auf freiem Feld vor einer gesprengten Brücke liegen bleibt. Die SS-Wachen flüchten und überlassen die geschwächten, von Hunger, Krankheiten und Luftangriffen gequälten KZ-Insassen ihrem Schicksal. Ein Trupp sowjetischer Soldaten entdeckt den Transport und leistet Hilfe, ebenso ein Teil der Bevölkerung des nahen Dörfchens Tröbitz. Doch im Zug ist der Typhus ausgebrochen … So viel zu den Fakten. Der Film erzählt hauptsächlich von den Ereignissen in Tröbitz, nachdem der Zug gestrandet ist. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen: Simone, eine niederländische Jüdin, die mit ihrem Mann Isaac mit knapper Not den Transport überlebt hat. Vera, eine sowjetische Scharfschützin der Roten Armee, und Winnie, ein Mädchen aus dem Dorf, das die BDM-Uniform nicht ablegen will. Die Drei begegnen sich in einer denkbar schwierigen Situation: Das gegenseitige Misstrauen ist ebenso groß wie die gegenseitige Abneigung. Zwischen Hass und Rachegefühlen verlaufen die ersten Kontakte, und sehr langsam erwächst im Verhältnis zwischen Simone, Vera und Winnie so etwas wie Mitgefühl und Verständnis, während um sie herum die Welt aus den Fugen gerät. Eingebettet in eine spannende Handlung erzählt die deutsch-niederländische Filmemacherin Saskia Diesing eine Geschichte, die von der Tatkraft und Energie dreier Frauen handelt und davon, wie sie versuchen, für andere da zu sein und einfach weiterzumachen, wo andere verzweifeln. Vera, die Rotarmistin, ergreifend gespielt von Eugénie Anselin, muss sich tagtäglich nicht nur im Kampf beweisen, sondern sie muss sich auch gegen das Männerregime in ihrer Einheit behaupten, zu dem neben dem Hass auf die Deutschen auch dreckige Sprüche gegenüber Frauen gehören. Simone ist zu Beginn so etwas wie die Sprecherin der Zuginsassen, doch die ersehnte Freiheit rückt für sie immer weiter in die Ferne, weil ihr Mann Isaac an Typhus erkrankt und das ganze Dorf unter Quarantäne gestellt wird. Hanna van Vliet spielt die Simone mit sanfter, feiner Freundlichkeit und unverrückbarem Optimismus. Als Winnie ist Anna Bachmann eine zunächst unbelehrbare Nazi-Göre, die nur langsam ihre Vorurteile ablegt. Saskia Diesing arbeitet mit einem recht kleinen Cast, viele Aufnahmen spielen in halbdunklen Innenräumen und spiegeln so die düstere Atmosphäre zum Kriegsende wider. Der Film wirkt insgesamt recht ruhig, es wird selten laut und emotional. Zum gemessenen Tempo und den tragischen Umständen passt die getragene Musik von Paul Eisenach und Jonas Hofer. Die aufmerksame Kamera von Aage Hollander fängt häufig die Blicke der Akteurinnen auf, in denen sich widerstreitende Gefühle spiegeln. Mehr und mehr entwickelt sich der Film dabei vom Kriegsdrama aus weiblicher Sicht zu einer allgemein gültigen Parabel über Menschlichkeit und Zusammenhalt in schweren Zeiten. (programmkino.de)Ausblenden