Ö 2024, 121 Min. Regie: Veronika Franz, Severin Fiala
mit Anja Plaschg, Maria Hofstätter, David Scheid
Zum Bundesstart: Das abgründige Psychogramm einer „verlorenen Seele“. Jessas!
Weiterlesen...Die auf dem Hügel ausgestellte Leiche einer Hingerichteten, von deren Tat der Epilog zu „Des Teufels Bad“ berichtet, ist eine Mahnung an all die Frauen, die den Gedanken hegen, sich den rigiden Regeln des Zusammenseins zu entziehen. Aufgerichtet sitzt der Leichnam da, im blutbefleckten Gewand. Der abgetrennte Kopf befindet sich nebendran in einem eisernen Käfig als Schutz vor gefräßigen Tieren. Das Vergehen der Frau, die hier auf solch schauderhafte Weise ausgestellt wird: Sie hatte einen schreienden Säugling einen Wasserfall hinuntergeworfen. Erst im Verlauf des Films werden sich die Hintergründe dieser Tat offenbaren, auf den der Titel sich bezieht: Von sogenannten melancholischen Menschen (heute würde man diese als Menschen, die unter Depressionen leiden) hieß es, dass sie im Bad des Teufels gefangen seien. Selbstmord als letzter Ausweg war aber nach den Lehren der Kirche eine Todsünde, für die die ewige Verdammnis drohte. Also breitete sich (historisch verbürgt in Ländern wie Deutschland, Österreich, Schweden, Frankreich und England) ein Phänomen aus, das die Wissenschaft heute als „suicide by proxy“ bzw. „mittelbaren Selbstmord“ bezeichnet. Um der Verdammnis eines Selbstmordes zu entkommen, verübten die Frauen rituell anmutende Morde, vorwiegend an Kindern, um auf diese Weise verhaftet und hingerichtet zu werden. Dass überwiegend Kinder diesen Taten zum Opfer fielen, hing damit zusammen, dass diese sich in einem Zustand der Unschuld befanden und ihnen damit der Weg ins Himmelreich gewiss sei. Ein weiterer Vorteil dieses ungewöhnlichen Weges: die Beichte vor der Hinrichtung ermöglichte es auch den Täterinnen, frei von Sünden Gnade vor den Augen des jüngsten Gerichts zu finden. Dieses Phänomen wurde erst verhältnismäßig spät von der Geschichtswissenschaft entdeckt, dem Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala (Ich seh, ich seh; The Lodge) dient es als Ausgangspunkt für eine düstere Reise in die Vergangenheit, die an Filme wie Robert Eggers’ The VVitch und Lukas Feigelfelds Hagazussa erinnert. Im Mittelpunkt steht Agnes (die Musikerin Anja Plaschg von Soap&Skin, die bereits in Ruth Beckermanns Die Geträumten und Sebastian Meises Stillleben zu sehen war), eine empfindsame und tiefgläubige junge Frau, die Mitte der 18. Jahrhunderts in einer bäuerlich geprägten, erzkatholischen und bitterarmen Region Niederösterreichs aufwächst. Statt die Gesellschaft zu suchen, streift sie lieber durch den Wald und sammelt kleine Schätze der Natur, die sie wie Kostbarkeiten aufbewahrt. Die gerade geschlossene Ehe mit Wolf (David Scheid) setzt sie noch mehr unter Druck, weil damit die Erwartung verbunden ist, dass sie ein Kind – am besten noch einen Sohn – auf die Welt bringt. Allein, das Zusammensein mit ihrem Ehemann ist so freudlos, dass man sich fragt, wie das überhaupt geschehen soll. Sie ist und bleibt eine Träumerin, eine Fremde, die sich eigentlich nur eines wünscht: „Ich wollte weg sein aus der Welt“. Ein Selbstmordversuch mit Rattengift schlägt fehl, der Druck wächst weiter an, bis sie keinen anderen Ausweg mehr aus ihrem Dasein sieht (ausgelöst übrigens durch eine donnernde Predigt des örtlichen Pfarrers), als ein Kind zu töten und durch die daraus resultierende Verurteilung und Hinrichtung endlich sterben zu können. Schwer liegt der Nebel über den Tälern, dunkel sind die Behausungen, Grau-, Blau- und Erdtöne dominieren die Farbpalette von Des Teufels Bad, der immer wieder beredte Details des dumpfen Lebens der armen Bauerngesellschaft einstreut, die für eine „Melancholikerin“ keinerlei Verständnis hat. Dass die ausbleibende Schwangerschaft trotz eines Talismans unter der Matratze des Ehebetts selbstverständlich Agnes’ Schuld ist, obwohl man genau sieht, dass ihr Ehemann keinerlei (sexuelles) Interesse an ihr zeigt, gehört ebenso zu den Grausamkeiten einer streng patriarchalen Gesellschaft wie die entsetzliche Zurschaustellung der geköpften Sünderin. Lange Zeit trotz einiger ausgesuchter Schockelemente relativ verhalten erzählt, gewinnt Des Teufels Bad erst gegen Ende an emotionaler Kraft; wenn Agnes in einer beeindruckenden Szene Beichte ablegt über ihr Tun und wir zum ersten Mal hören, wie sie ihre Seelenpein ausbreitet, erahnt man das ganze Ausmaß der inneren Verheerungen und des großen Leids, dass diese Frau mit sich herumträgt. Der Tod durch das Richtschwert kommt einer Erlösung gleich und just in diesem Moment findet Agnes vielleicht zum ersten Mal eine Ahnung davon, was Gemeinschaft bedeuten kann: Als sie auf dem Richtplatz ein Lied zur Ehre der Gottesmutter Maria anstimmt, fällt ein kleines Mädchen aus dem Publikum mit ein, bis der Hieb des Henkers den Zwiegesang jäh beendet. Ein kurzer Moment der (weiblichen) Solidarität – und vielleicht der einzige Hoffnungsschimmer in einem niederschmetternd düsteren Film über die Grausamkeiten vergangener Zeiten. (kino-zeit.de)Ausblenden
Fr. 20:30
MAXXXINE OmU
Cinema Obscure – USA 2024, 103 Min. Regie: Ti West
mit Mia Goth, Elizabeth Debicki, Kevin Bacon
Der dritte Streich des Tripple-X–Augenschmauses mit Retrocharme
Weiterlesen...Abgeschottet vom Rest der Welt, drehte US-Regisseur Ti West im Frühjahr 2021, also noch während der Corona-Pandemie, im wenig betroffenen Neuseeland die Slasher-Hommage „X“, die die in den 1970er-Jahren aufkommende Pornobegeisterung mit einem Backwoods-Szenario à la „The Texas Chainsaw Massacre“ verband. Liebevoll stellte der Regisseur und Drehbuchautor, ausgestattet mit kleinem Budget, den Look damaliger Horrorarbeiten nach und schuf mit der aufstrebenden Erotikdarstellerin Maxine Minx eine auf seltsame Weise faszinierende Protagonistin. Als Einzige entkam die junge Frau, die mit einer kleinen Filmcrew für einen Pornodreh eine Häuschen auf dem Grundstück eines alten Ehepaares gemietet hatte, dem durch die Vermieter entfachten Blutbad. Die Britin Mia Goth überzeugte nicht nur in der Rolle Maxines, sondern lieferte auch, versteckt unter aufwendigem Make-up, als betagte Antagonistin Pearl eine beachtliche Performance ab. Direkt im Anschluss inszenierte Ti West nach einem von ihm und Goth verfassten Drehbuch das 60 Jahre früher spielende Prequel Pearl, das in Form eines bunten, aber albtraumhaften Melodrams das Leben der ebenfalls ambitionierten Titelfigur in der texanischen Provinz beschrieb. „MaXXXine“ wiederum schließt nun an das Anfangskapitel an und wirkt mit seinen unterschiedlichen Schauplätzen im Vergleich mit den beiden Vorgängern größer, strahlt keine Kammerspielatmosphäre mehr aus. Für Maxine ging es nach den Provinzmassaker aus dem Jahr 1979 offenbar stetig ein Stück nach oben. 1985 hat sie sich längst einen Namen im Pornogeschäft gemacht, träumt aber – ambitioniert, wie sie ist – von einer großen Karriere in Hollywood. Der Einstieg in die Traumfabrik soll mit einem Part im fiktiven Horrorfilmsequel „The Puritan II“ gelingen, das die nicht minder ehrgeizige Regisseurin Elizabeth Bender (Elizabeth Debicki) als B-Movie mit anspruchsvollen Ideen beschreibt. Schon in den ersten Minuten, wenn sich Maxine beim Vorsprechen beweisen muss, ist es wieder da. Das Charisma, das Mia Goth schon in „X“ versprühte. Die nicht selten in Überheblichkeit kippende Selbstsicherheit der Pornodarstellerin kommt nicht nur in ihren Worten zum Ausdruck. Auch die Körpersprache – gerader Rücken, vorgerecktes Kinn und schwingender Gang – spricht Bände. Hier ist ein Mensch ganz von seinem Können überzeugt – und ergattert vielleicht auch deshalb tatsächlich die gewünschte Rolle. Maxines Unerschrockenheit zeigt sich zudem kurz darauf in einer hochbedrohlichen Situation. Wie sie, in einer Sackgasse angekommen, auf einen nächtlichen Verfolger reagiert, ist schmerzhaft anzusehen und unterstreicht einmal mehr: Einfach so unterkriegen lässt sie sich nicht. Die Selbstermächtigung, die im ersten Reihenkapitel thematisiert wurde, schreitet voran – und das in einem Haifischbecken wie dem von Los Angeles. Mit Maxine erbringen West und Goth den Beweis, dass Filmfiguren nicht sympathisch sein müssen, um für das Publikum interessant zu sein. Ihre Arroganz, ihre Ichbezogenheit irritieren immer wieder. Dann gibt es aber auch Momente der Verunsicherung. Momente, in denen das Trauma des Blutbads urplötzlich hervorbricht, was die Figur facettenreicher macht. Handlungstechnisch verknüpft Ti West Maxines Weg mit den Verbrechen eines realen, „Night Stalker“ getauften Serienkillers, der Mitte der 1980er Jahre Los Angeles in Atem hielt. Hat er auch die aufstrebende Aktrice im Visier? Es scheint so, denn aus ihrem direkten Umfeld erwischt es mehrere Personen, was die ermittelnden Polizisten Williams (Michelle Monaghan) und Torres (Bobby Cannavale) auf den Plan ruft. Ein besonders kunstvolles Erzählkonstrukt darf man nicht erwarten. Schon deshalb nicht, weil sich der Film tief vor dem italienischen Giallo-Kino, Thrillern und Horrorwerken der 1960er- und 1970er-Jahre mit ausgiebig in Szene gesetzten, oft sexualisierten Morden, verneigt. Schwarze Handschuhe, lange Klingen und wahnwitzige Tätermotivationen, alles Markenzeichen dieser südeuropäischen Spannungsspielart, kommen auch hier zum Einsatz. Und wenig verwunderlich geht es bei der Auflösung ähnlich absurd wie in vielen Italo-Arbeiten zu. Gerade der trashige Showdown wirkt allerdings als Abschluss von Maxines Reise durchaus stimmig. Das Gesamtbild dagegen ist manchmal etwas ruckelig. Keine Frage, der Regisseur stellt die Handlungszeit mit gutem Auge nach, ohne sich übertrieben im Retro-Look zu suhlen. Immer wieder gelingen ihm einprägsame Bilder. Filmliebhaber können zahlreiche Zitate, unter anderem einen Ausflug an das „Psycho“-Set, entdecken. Und an Ideen, die den Exploitation-Stoff aufwerten, mangelt es nicht. Die Fallstricke Hollywoods werden ebenso thematisiert wie der Kulturkampf in den USA zwischen liberalen und konservativen Kräften oder die Gefahr, den falschen Menschen blindlings nachzulaufen. Das Problem: Alle Einfälle lassen sich nur schwer unter einen Hut bringen, einige Überlegungen hängen in der Luft, weshalb „MaXXXine“ unentschlossener als „X“ und „Pearl“ wirkt. Soll er voll in den Giallo-Modus schalten? Oder doch eher in Richtung Satire gehen? Ganz genau scheint es Ti West nicht zu wissen. Dass das Interesse dennoch erhalten bleibt, dafür sorgt schon Mia Goth mit ihrer abermals kraftvollen Performance. (programmkino.de)Ausblenden