Landshut im Nationalsozialismus – BRD 1990, 90 Min. Regie: Michael Verhoeven
mit Lena Stolze, Monika Baumgartner, Michael Gahr, Robert Giggenbach
Ein Meilenstein des deutschen Films und zugleich mehrschichtiges Dokument niederbayrischer Geschichte
Weiterlesen...Keineswegs ein schreckliches Mädchen ist die kluge, wache und recht unspektakuläre Sonja (Lena Stolze), die mit ihrer Familie im beschaulichen Städtchen Pfilzing lebt. Das ändert sich allerdings aus dem Blickwinkel der Gemeinde heraus drastisch, als Sonja sich im Rahmen eines Aufsatzwettbewerbs, den sie zum Stolze aller Pfilzinger zuvor bereits ein Mal gewann, intensiv für die Vergangenheit der Stadt zur Zeit des Nationalsozialismus zu interessieren beginnt. Auf diesem Terrain, das merkt die offen und energisch insistierende Schülerin rasch, sind die sonst zuvorkommenden Bürger ihrer Heimatstadt empfindlich und verschlossen, und so lässt sie das Thema und den Wettbewerb ruhen. Doch die Geschichte lässt ihr keine Ruhe, nur zu gern würde sie den Pfilzinger Widerstand gegen die Nazis lobend erwähnen, so dass sie das heiße Eisen als Studentin erneut anpackt. Dieses Mal schlägt ihr eine noch größere Feindseligkeit entgegen, von der sie sich nun aber nicht mehr ins Bockshorn jagen lässt, denn mittlerweile ist Sonja eine erwachsene Frau, hat den ehemaligen Refenrendar Martin (Robert Giggenbach) geheiratet, zwei Kinder bekommen und kann sich auf den Rückhalt ihrer unerschrockenen Großmutter (Elisabeth Bertram) und ihrer Eltern (Monika Baumgartner, Michael Gahr) verlassen, die sich zunehmend an der Recherche beteiligen, die als Buch erscheinen soll. Doch die Pfilzinger sträuben sich heftig und gehen gar zu Drohgebärden und tätlichen Angriffen über, um die Chronik ihrer Stadt von 1933 bis 1945 im Dunkeln zu belassen. Aber nun will Sonja die verborgene Wahrheit umso hartnäckiger ans Licht bringen und zeigt sich dabei ebenso einfallsreich wie kämpferisch … Das schreckliche Mädchen von Michael Verhoeven (Mutters Courage, 1995, Menschliches Versagen, 2008) ist bei aller Ernsthaftigkeit der Thematik um Zivilcourage und tabuisierte NS-Vergangenheit eine immer wieder überraschend humoristische Satire mit pfiffigen Kontrasten und witzigen Gestaltungsideen. Die Geschichte beruht auf den tatsächlichen Erlebnissen der Schriftstellerin Anja Rosmus in ihrer Heimatstadt Passau, die den Regisseur und Drehbuchautoren zu diesem ganz hervorragend gelungenen Film inspirierten, der allerdings einige Varianten zum authentischen Geschehen installiert hat. 1991 wurde Das schreckliche Mädchen als Bester Fremdsprachiger Film für einen Oscar nominiert, gewann 1992 einen BAFTA Award und unter anderem einen Silbernen Bären der Berlinale im Jahre 1990, wo er uraufgeführt wurde. So harmlos-harmonisch die Geschichte beginnt, so unvermittelt erstarrt endet sie, und dazwischen liefert sie innerhalb eines lebhaften, reflektierenden Erzählstils beste Unterhaltung gewürzt mit filigranen bis wuchtigen Running Gags und beißenden Zynismus, der daran gemahnt, mit welch banal erscheinender Biederkeit kostümiert das Verschweigen großen Unrechts bisweilen daherkommt – aber auch, wie mutig sich eine zuvor stets um gesellschaftliche Anpassung bemühte Familie gegen das Bollwerk sozialer Verschwörung aufzulehnen vermag. Unbedingt sehenswert! (kino-zeit.de)Ausblenden
mit Amani-Jean Philippe, Ole van Hoogdalem, Liis Visschedijk
Weiterlesen...„Geh auf keinen Fall zur Polizei!“ Wie ein Mantra hat Ama diesen Satz immer wieder von ihren Eltern gehört. Denn Amas Familie stammt aus dem Senegal und hält sich illegal in den Niederlanden auf. Seit 11 Jahren, denn Ama wurde bereits in Rotterdam geboren. Amas Familie lebt schon lange unter dem Radarschirm der Behörden, was nicht immer ganz leicht fällt. Trotzdem geht Ama regelmäßig zur Schule und gehört als Nachwuchsschwimmerin zu den Besten des Landes. Doch dann fliegen Amas Mutter und ihre Schwester durch einen Zufall auf und werden verhaftet. Amas Vater und sie selbst verstecken sich und suchen einander, um irgendwie gemeinsam die Abschiebung der Familie zu verhindern, als bei Ama plötzlich ein riesiges Stachelschwein auftaucht, das sich als ihr Totemtier entpuppt, eine Mischung aus „Local Guide“ und Schutzengel. Dieses Totemtier wird ab seinem ersten Auftritt zum heimlichen Star des Films, nicht zuletzt wegen der zunächst befremdlich wirkenden Entscheidung von Regisseur Sander Burger, gegen jeden modernen Kinotrend auf CGI zu verzichten. Das Stachelschwein ist eine große mechanische Puppe, die auf Rädern hinter Amani-Jean Philippe, die Ama einfach umwerfend spielt, hergebollert wird. Verblüffenderweise verleiht dieser Klotz von einem Viech dem Film jedoch eine ganz besondere, poetische Qualität, die Amas eigentlich traurige Geschichte mit märchenhafter Ironie und schrägem Humor auflädt. Natürlich wäre es zu viel der Märchenhaftigkeit, wenn es einer 11-jährigen Illegalen und einem Stachelschwein, das möglicherweise nur in ihrer Phantasie existiert, gelänge, die niederländischen Behörden in die Knie zu zwingen. Dazu ist mehr vonnöten, und hier kommt das Motto des Films ins Spiel: „Du bist nicht allein!“ Ama bekommt Hilfe von ihren Freunden, angeführt von ihrem Mitschüler und -schwimmer Thijs, dessen Mutter, die Polizistin Paula, ausgerechnet nach Ama und ihrem Vater fahndet. Wie zu erwarten und zu hoffen, fügt sich in bester Kinderfilm-Manier nach einigen spannenden Verwicklungen am Ende alles zum Guten, sodass Ama am Ende leichten Herzens, aber bestens trainiert (und ganz ohne Stachelschwein-Doping) an dem Schwimmwettkampf, teilnehmen kann, für den sie so hart trainiert hat. Ein schönes Ende für einen schönen Film: Mit sympathischem Witz und ohne den berüchtigten Zeigefinger zu bemühen, hat Sander Burger eine zutiefst menschliche Geschichte erzählt und dem Publikum vor Augen geführt, wie wichtig es ist, anderen zu helfen, die in Bedrängnis sind. Ein Film über Freundschaft, Identität und den Wert der Fantasie. Nicht nur Kinder, auch die Erwachsenen im Publikum werden knapp hundert spannende und humorvolle Minuten im Kinositz verbringen, mit Ama und ihrer Familie mitfiebern und – natürlich – zu Stachelschwein-Fans werden. (programmkino.de)Ausblenden
So. 19:00
KING´S LAND DF
Bastarden – DK/D/S 2023, 127 Min. Regie: Nikolaj Arcel
mit Mads Mikkelsen, Amanda Collin, Simon Bennebjerg
Nordisches Historiendrama in rauer Landschaft und grandiosen Bildern
Weiterlesen...Dieser unerschütterliche Glaube an sich selbst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Aufgeben ist keine Option. Dafür ist er zu stolz. Auch wenn er hier in einem prunken Saal des königlichen Hofs in seiner alten, abgewetzten Militäruniform steht. Er hat die Magistraten vor ihm fest im Blick, als er ihnen sein verrücktes Angebot unterbreitet. Sie schauen belustigt auf ihn herab. Doch das Gelächter ist ihm gleichgültig. Er ist entschlossen, für die Aussicht auf einen Adelstitel alles zu geben. Der ehemalige Soldat Ludvig Kahlen (Mads Mikkelsen) hat den eisernen Willen dazu. Trotz seiner bescheidenen Wurzeln stieg er Mitte des 18. Jahrhunderts in Dänemark in den Rang eines Hauptmanns auf und wurde für seine Dienste ausgezeichnet. Die Anerkennung des Königs und Erhebung durch diesen in den Adelsstand blieb ihm bisher trotzdem verwehrt. Sein Plan soll dies nun ändern. Kahlen reist 1755 an den Hof von Frederik V. und schlägt diesem durch dessen hohe Beamte vor, die karge Heide in Jütland zu kultivieren und dort eine Siedlung zu gründen. Ein Unterfangen, dass der König schon lange realisiert sehen wollte, an dem aber viele Männer vor Ludvig gescheitert sind. Sollte es ihm wirklich gelingen, auf dem trockenen Land Kartoffeln anzubauen, werde ihm sein lang ersehnter Rang gewährt. Da er sonst nichts von den Magistraten des Königs verlangt und das Vorhaben sogar noch selbst, durch seine bescheidene Rente, finanzieren will, geben diese ihm grünes Licht. Darüber hinaus erwarten sie nicht, dass Kahlen erfolgreich ist, und falls er es wider Erwarten doch schaffen sollte, wäre der König zufrieden mit seiner neuen Landeseroberung. Soll sich der Hauptmann in den schäbigen Kleidern doch am steinigen Boden abnutzen. Mit nichts außer einem Pferd, einem Zelt und einer Pistole, um sich vor Banditen zu schützen, schlägt dieser bald darauf sein Lager in der Heide auf und übersteht die ersten Stürme. Tagtäglich beackert er mit ein paar Werkzeugen die harte Erde. Weder die königlichen Beamten noch Kahlen selbst haben aber neben der unwirtlichen Landschaft mit noch einem anderen Widerstand gerechnet: dem brutalen Gutsherren und Bezirksrichter Frederik De Schinkel (Simon Bennebjerg), in dem Kahlen von Beginn an einen gewaltigen Feind hat. De Schinkel behandelt seine Angestellten wie Tiere und vergewaltigt jedes Dienstmädchen seiner Wahl. Er nutzt die Abgeschiedenheit in Jütland aus, um die Monarchie zu missachten und das Territorium als sein Eigentum zu beanspruchen. De Schinkel macht es Kahlen schwer, die nötigen Arbeitskräfte zu finden, um das Land zu bepflanzen. Doch Kahlen denkt nicht daran, klein beizugeben. King’s Land war der dänische Oscar-Beitrag 2024 und beruht auf dem Roman Kaptajnen og Ann Barbara der Autorin Ida Jessen. Nikolaj Arcel macht aus dem historischen Stoff einen rohen skandinavischen Western und ein menschliches Drama um eine Sinnsuche, die von den imposanten Bildern der rauen Landschaft getragen wird. Im Kern erinnert die Geschichte an Paul Thomas Andersons There will be blood. Arcel konzentriert sich aber nicht nur auf Themen wie Macht und Klassenunterschiede, sondern auch auf Rassismus, sexuellen Missbrauch und Ausbeutung. Mads Mikkelsen, der hier nach Die Königin und der Leibarzt (2012) bereits zum zweiten Mal mit Arcel zusammenarbeitet, beeindruckt einmal mehr als stoischer Einzelgänger, der verbissen sein Ziel verfolgt und sich doch nicht freisprechen kann vom Mitgefühl und der Verantwortung für die Menschen um ihn herum. Diese werden vor allem durch starke Frauenrollen getragen, die sich dem ihnen zugedachten Platz in ihrer Zeit willensstark widersetzen. Zwar mag das Ende sicher nicht jeden Geschmack treffen, doch es bringt die Verwandlung des Ludvig Kahlen konsequent zum Ausdruck. (kino-zeit.de)Ausblenden