KinderKino – D 2018, 103 Min. Regie: Michael Schaerer
mit Karoline Herfurth, Axel Prahl, Suzanne von Borsody
Ein wilder Ritt zur Walpurgisnacht, empf. Ab 6 Jahren
Weiterlesen...An einem Tümpel steht es windschief im Wald. Die Fassade ist aus Lehm, das Dach aus Stroh, die Liebe zum Detail die große Stärke dieser Adaption, die einen von Beginn an in die eigene Kindheit zurückversetzt. Wer Otfried Preußlers Vorlage kennt und präsent hat, wird die kleinen Abweichungen schnell bemerken. Im 1957 erschienenen Kinderbuch regnet es weiße Mäuse und Frösche, bevor die Tannenzapfen folgen. Vielleicht setzt der Film hier einfach erst später ein, denkt das Geschehen weiter. Wie Drehbuchautor Matthias Pacht all die kleinen Episoden in eine stringente Handlung überführt, einige davon klug zusammenfasst und Figuren bereits früher als im Buch die Wege kreuzen lässt, ist überhaupt die große Herausforderung dieser Umsetzung und vollauf gelungen. Wem der in 47 Sprachen übersetzte Bestseller nichts sagt, dem sei hier noch einmal schnell erklärt, worum es geht: Wie nichts anderes auf der Welt möchte die kleine Hexe in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg ums Feuer tanzen. Allein, sie ist zu jung und in den Augen der anderen zu dünn, zu klein, zu dumm und zu wohlriechend. Als sie es dennoch wagt und erwischt wird, stellt ihr die Oberhexe (Therese Affolter) ein Ultimatum. Bis zur nächsten Versammlung im kommenden Jahr muss sie alle 7892 Zaubersprüche auswendig lernen und eine gute Hexe werden. Ihr Rabe Abraxas (Stimme: Axel Prahl) steht ihr mit Rat und Tat zur Seite, hat allerdings keine Ahnung, was eine gute von einer schlechten Hexe unterscheidet. Statt den Guten zu helfen, indem sie die Bösen quält, entwickelt die kleine Hexe alsbald auch für letztere Verständnis und freundet sich mit den Kindern Vroni (Momo Beier) und Thomas (Luis Vorbach) an. Mit kritischem Blick und belehrenden Sprüchen lauert ihre Muhme, die Wetterhexe Rumpumpel (Suzanne von Borsody), stets hinter der nächsten Ecke. Die Produzenten des Films, Ulrike Putz und Jakob Claussen, haben mit Krabat (2008) und Das kleine Gespenst (2013) bereits zwei Werke Preußlers und mit Johanna Spyris Heidi (2015) einen weiteren Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur auf die große Leinwand übertragen. Damit stehen sie in der beinahe schon altbewährten Tradition des deutschsprachigen Kinder- und Familienfilms. Denn was sich in Buchform gut verkauft und als Marke etabliert hat, hat schließlich auch in anderen Medien Erfolgsaussichten. Dementsprechend geben sich alljährlich Nachwuchsdetektive, wilde Kerle und Hühner, Internatsschüler und -schülerinnen oder Hexen auf dem Reiterhof in den Kinosälen die Klinke in die Hand. Wie bei den Superheldenstreifen oder, um im Lande zu bleiben, Komödien wie Fack ju Göhte wird die Kuh so lange gemolken, bis sie ins Gras beißt. Die Einfallslosigkeit dieser Erfolgsformel hat Kollege Rochus Wolff auf Kino-Zeit bereits mehrfach beschrieben, jüngst etwa hier. Und in manchen Fällen ist ein geradezu reaktionärer Rückfall in die Zeiten der Vorlagen sicher nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn Regisseur Michael Schaerer und sein Team ihrem Film einen altmodischen Look verpassen, die Kostüme etwa vom Viktorianischen Zeitalter um 1900 inspiriert sind, ist daran nichts altbacken. Otfried Preußlers Geschichte mag 60 Jahre auf dem Buckel haben, sie versprüht auch heute noch so viel Esprit wie ihre aufmüpfige, ja nach Hexenverständnis geradezu jugendliche Protagonistin. Mit ihrer kecken Art und einer winzigen, aber entscheidenden Prothese auf der Nasenspitze könnte es gar keine bessere Wahl als Karoline Herfurth für die Hauptrolle geben. Sie spielt nicht, sondern ist diese Figur einfach, wie auch Axel Prahl als Sprecher im Raben Abraxas voll aufgeht. In einer Welt, in der Begriffe wie „Hexenjagd“ wieder heiß diskutiert werden, bildet die Hauptfigur ein positives Gegengewicht. Herfurths kleine Hexe setzt sich mit Witz und Herz gegen all jene zur Wehr, die nicht für voll nehmen, wer mit seinem Besen in eine andere Richtung als der gleichförmige Rest will. (kino-zeit.de)Ausblenden
Sa. 18:00
KING´S LAND dän. OmU
Bastarden – DK/D/S 2023, 127 Min. Regie: Nikolaj Arcel
mit Mads Mikkelsen, Amanda Collin, Simon Bennebjerg
Nordisches Historiendrama in rauer Landschaft und grandiosen Bildern
Weiterlesen...Dieser unerschütterliche Glaube an sich selbst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Aufgeben ist keine Option. Dafür ist er zu stolz. Auch wenn er hier in einem prunken Saal des königlichen Hofs in seiner alten, abgewetzten Militäruniform steht. Er hat die Magistraten vor ihm fest im Blick, als er ihnen sein verrücktes Angebot unterbreitet. Sie schauen belustigt auf ihn herab. Doch das Gelächter ist ihm gleichgültig. Er ist entschlossen, für die Aussicht auf einen Adelstitel alles zu geben. Der ehemalige Soldat Ludvig Kahlen (Mads Mikkelsen) hat den eisernen Willen dazu. Trotz seiner bescheidenen Wurzeln stieg er Mitte des 18. Jahrhunderts in Dänemark in den Rang eines Hauptmanns auf und wurde für seine Dienste ausgezeichnet. Die Anerkennung des Königs und Erhebung durch diesen in den Adelsstand blieb ihm bisher trotzdem verwehrt. Sein Plan soll dies nun ändern. Kahlen reist 1755 an den Hof von Frederik V. und schlägt diesem durch dessen hohe Beamte vor, die karge Heide in Jütland zu kultivieren und dort eine Siedlung zu gründen. Ein Unterfangen, dass der König schon lange realisiert sehen wollte, an dem aber viele Männer vor Ludvig gescheitert sind. Sollte es ihm wirklich gelingen, auf dem trockenen Land Kartoffeln anzubauen, werde ihm sein lang ersehnter Rang gewährt. Da er sonst nichts von den Magistraten des Königs verlangt und das Vorhaben sogar noch selbst, durch seine bescheidene Rente, finanzieren will, geben diese ihm grünes Licht. Darüber hinaus erwarten sie nicht, dass Kahlen erfolgreich ist, und falls er es wider Erwarten doch schaffen sollte, wäre der König zufrieden mit seiner neuen Landeseroberung. Soll sich der Hauptmann in den schäbigen Kleidern doch am steinigen Boden abnutzen. Mit nichts außer einem Pferd, einem Zelt und einer Pistole, um sich vor Banditen zu schützen, schlägt dieser bald darauf sein Lager in der Heide auf und übersteht die ersten Stürme. Tagtäglich beackert er mit ein paar Werkzeugen die harte Erde. Weder die königlichen Beamten noch Kahlen selbst haben aber neben der unwirtlichen Landschaft mit noch einem anderen Widerstand gerechnet: dem brutalen Gutsherren und Bezirksrichter Frederik De Schinkel (Simon Bennebjerg), in dem Kahlen von Beginn an einen gewaltigen Feind hat. De Schinkel behandelt seine Angestellten wie Tiere und vergewaltigt jedes Dienstmädchen seiner Wahl. Er nutzt die Abgeschiedenheit in Jütland aus, um die Monarchie zu missachten und das Territorium als sein Eigentum zu beanspruchen. De Schinkel macht es Kahlen schwer, die nötigen Arbeitskräfte zu finden, um das Land zu bepflanzen. Doch Kahlen denkt nicht daran, klein beizugeben. King’s Land war der dänische Oscar-Beitrag 2024 und beruht auf dem Roman Kaptajnen og Ann Barbara der Autorin Ida Jessen. Nikolaj Arcel macht aus dem historischen Stoff einen rohen skandinavischen Western und ein menschliches Drama um eine Sinnsuche, die von den imposanten Bildern der rauen Landschaft getragen wird. Im Kern erinnert die Geschichte an Paul Thomas Andersons There will be blood. Arcel konzentriert sich aber nicht nur auf Themen wie Macht und Klassenunterschiede, sondern auch auf Rassismus, sexuellen Missbrauch und Ausbeutung. Mads Mikkelsen, der hier nach Die Königin und der Leibarzt (2012) bereits zum zweiten Mal mit Arcel zusammenarbeitet, beeindruckt einmal mehr als stoischer Einzelgänger, der verbissen sein Ziel verfolgt und sich doch nicht freisprechen kann vom Mitgefühl und der Verantwortung für die Menschen um ihn herum. Diese werden vor allem durch starke Frauenrollen getragen, die sich dem ihnen zugedachten Platz in ihrer Zeit willensstark widersetzen. Zwar mag das Ende sicher nicht jeden Geschmack treffen, doch es bringt die Verwandlung des Ludvig Kahlen konsequent zum Ausdruck. (kino-zeit.de)Ausblenden
Sa. 20:30
MADAME SIDONIE IN JAPAN frz. OmU
Sidonie au Japan – F/D/JAP 2023, 95 Min. Regie: Élise Girard
mit Isabelle Huppert, Tsuyoshi Ihara, August Diehl
Weiterlesen...Filme, die vom Reisen handeln, haben oft rastlose Hauptfiguren – Suchende, Getriebene, die es an einen anderen Ort zieht, weil sie hoffen, dort endlich das zu finden, was ihnen womöglich fehlt. Bei Sidonie Perceval (Isabelle Huppert), der Protagonistin aus „Madame Sidonie in Japan“, entsteht dieser Eindruck hingegen zunächst nicht. Nur zögerlich verlässt sie ihre Wohnung und begibt sich mit bewusster Verspätung an den Pariser Flughafen. „Ich weiß nicht, ob ich fliegen will“, gesteht sie einer Airline-Mitarbeiterin, die das gar nicht allzu sehr zu interessieren scheint. Noch weitere Male unterläuft Regisseurin Élise Girard, die das feinsinnige Drehbuch zusammen mit Maud Ameline und Sophie Fillières geschrieben hat, die Publikumserwartungen. Denn als Sidonie in der Millionenstadt Osaka landet, um eine sechstägige Promotour anzutreten, wird sie dort nicht mit urbaner Hektik konfrontiert, sondern erlebt ein verblüffend ruhig und friedlich anmutendes Umfeld. Der Verleger Kenzo (Tsuyoshi Ihara) hat die Schriftstellerin anlässlich der Wiederveröffentlichung ihres Debütromans eingeladen. Sie soll ein paar Interviews geben; zudem will er ihr Schreine und Tempel in Kyoto zeigen. Zu einer wiederkehrenden Situation wird die gemeinsame Fahrt auf dem Rücksitz eines Wagens, bei der ein Chauffeur die beiden von A nach B befördert. Zuweilen wird dabei nur wenig gesprochen – doch das Knistern zwischen Sidonie und Kenzo erfüllt unbestreitbar den Raum; ihre Hände scheinen einander berühren zu wollen, werden allerdings höflich zurückgehalten. Girard geht es bei der Darstellung des titelgebenden Schauplatzes nicht um eine dokumentarisch wirkende Landeserkundung. Vielmehr befasst sie sich mit einem individuellen Gefühl, das sie selbst empfand, als sie sich 2013 im Rahmen einer Pressereise zu ihrem ersten Kinofilm Belleville-Tokyo (der trotz des Titels komplett in Frankreich spielt) in Japan aufhielt. Nur am Rande werden hier die typischen Culture-Clash-Gags geboten, etwa wenn sich Sidonie schwer damit tut, die ungeschriebenen Regeln der Begrüßungsverbeugungen zu durchschauen. Im Mittelpunkt steht ein persönlicher Prozess, der ganz nach innen gerichtet ist. Eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, das fernab des Alltags plötzlich noch mal ganz anders durchdacht werden kann. Und dann taucht Antoine (August Diehl) auf. Genauer gesagt: sein Geist. Denn Antoine, Sidonies Gatte, starb vor etlichen Jahren bei einem Autounfall, bei dem auch Sidonie im Wagen saß, aber keine (körperlichen) Verletzungen davontrug. Die Erscheinungen sorgen bei Sidonie zwar anfangs für einen gehörigen Schrecken; dennoch werden sie nicht als übersinnlicher Grusel inszeniert. Auch haben die Auftritte des Toten nichts Mystisch-Erhabenes an sich. Girard selbst vergleicht die Gestaltung des Geistes mit der von Rex Harrison interpretierten Figur in der Fantasy-Romanze Ein Gespenst auf Freiersfüßen (1947) von Joseph L. Mankiewicz. Entstanden sind die Geistersequenzen mit Greenscreen-Technik. Antoine hat keinen festen Körper; er kann von Sidonie nicht berührt werden. Die Interaktionen zwischen der Heldin und dem Verstorbenen entwickeln rasch etwas Spielerisches. Eine kindliche Freude an der Möglichkeit, sich nach all der Zeit überraschenderweise noch einmal begegnen zu können und betont albernen Schabernack zu treiben (da nur Sidonie Antoine sehen kann), verleiht dem Film eine Leichtigkeit, die dennoch der Melancholie den nötigen Platz lässt. Sidonie hat seit dem Tod ihres Mannes nicht mehr geschrieben; sie hat sich seither selbst kaum eine Chance gegeben, ihre Gefühle auszudrücken und anderen zu vermitteln. Madame Sidonie in Japan kommt unaufgeregt daher, ohne große Themen zu scheuen. Leiser Humor und Introspektion werden stimmig kombiniert. Und zu all diesen Stärken kommt die besondere Aura von Isabelle Huppert, die hier als „die Frau aus dem Westen“ sowohl ihr Talent für Slapstick als auch für sanft-romantische Momente ausspielt. Mit Tsuyoshi Ihara und August Diehl hat sie zwei charismatische Leinwandpartner an ihrer Seite, mit denen jede Szene zu einem einnehmenden Austausch wird. (kino-zeit.de)Ausblenden