Am 20.9. zeigt das Kinoptikum

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Fr. 18:00
MADAME SIDONIE IN JAPAN  DF
Sidonie au Japan – F/D/JAP 2023, 95 Min.
Regie: Élise Girard
mit Isabelle Huppert, Tsuyoshi Ihara, August Diehl
Behutsame Trauerarbeit inmitten fernöstlicher Frühlingsblüte
Trailer zu MADAME SIDONIE IN JAPAN
Weiterlesen... Filme, die vom Reisen handeln, haben oft rastlose Hauptfiguren – Suchende, Getriebene, die es an einen anderen Ort zieht, weil sie hoffen, dort endlich das zu finden, was ihnen womöglich fehlt. Bei Sidonie Perceval (Isabelle Huppert), der Protagonistin aus „Madame Sidonie in Japan“, entsteht dieser Eindruck hingegen zunächst nicht. Nur zögerlich verlässt sie ihre Wohnung und begibt sich mit bewusster Verspätung an den Pariser Flughafen. „Ich weiß nicht, ob ich fliegen will“, gesteht sie einer Airline-Mitarbeiterin, die das gar nicht allzu sehr zu interessieren scheint.
Noch weitere Male unterläuft Regisseurin Élise Girard, die das feinsinnige Drehbuch zusammen mit Maud Ameline und Sophie Fillières geschrieben hat, die Publikumserwartungen. Denn als Sidonie in der Millionenstadt Osaka landet, um eine sechstägige Promotour anzutreten, wird sie dort nicht mit urbaner Hektik konfrontiert, sondern erlebt ein verblüffend ruhig und friedlich anmutendes Umfeld.
Der Verleger Kenzo (Tsuyoshi Ihara) hat die Schriftstellerin anlässlich der Wiederveröffentlichung ihres Debütromans eingeladen. Sie soll ein paar Interviews geben; zudem will er ihr Schreine und Tempel in Kyoto zeigen. Zu einer wiederkehrenden Situation wird die gemeinsame Fahrt auf dem Rücksitz eines Wagens, bei der ein Chauffeur die beiden von A nach B befördert. Zuweilen wird dabei nur wenig gesprochen – doch das Knistern zwischen Sidonie und Kenzo erfüllt unbestreitbar den Raum; ihre Hände scheinen einander berühren zu wollen, werden allerdings höflich zurückgehalten.
Girard geht es bei der Darstellung des titelgebenden Schauplatzes nicht um eine dokumentarisch wirkende Landeserkundung. Vielmehr befasst sie sich mit einem individuellen Gefühl, das sie selbst empfand, als sie sich 2013 im Rahmen einer Pressereise zu ihrem ersten Kinofilm Belleville-Tokyo (der trotz des Titels komplett in Frankreich spielt) in Japan aufhielt. Nur am Rande werden hier die typischen Culture-Clash-Gags geboten, etwa wenn sich Sidonie schwer damit tut, die ungeschriebenen Regeln der Begrüßungsverbeugungen zu durchschauen. Im Mittelpunkt steht ein persönlicher Prozess, der ganz nach innen gerichtet ist. Eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, das fernab des Alltags plötzlich noch mal ganz anders durchdacht werden kann.
Und dann taucht Antoine (August Diehl) auf. Genauer gesagt: sein Geist. Denn Antoine, Sidonies Gatte, starb vor etlichen Jahren bei einem Autounfall, bei dem auch Sidonie im Wagen saß, aber keine (körperlichen) Verletzungen davontrug. Die Erscheinungen sorgen bei Sidonie zwar anfangs für einen gehörigen Schrecken; dennoch werden sie nicht als übersinnlicher Grusel inszeniert. Auch haben die Auftritte des Toten nichts Mystisch-Erhabenes an sich. Girard selbst vergleicht die Gestaltung des Geistes mit der von Rex Harrison interpretierten Figur in der Fantasy-Romanze Ein Gespenst auf Freiersfüßen (1947) von Joseph L. Mankiewicz. Entstanden sind die Geistersequenzen mit Greenscreen-Technik.
Antoine hat keinen festen Körper; er kann von Sidonie nicht berührt werden. Die Interaktionen zwischen der Heldin und dem Verstorbenen entwickeln rasch etwas Spielerisches. Eine kindliche Freude an der Möglichkeit, sich nach all der Zeit überraschenderweise noch einmal begegnen zu können und betont albernen Schabernack zu treiben (da nur Sidonie Antoine sehen kann), verleiht dem Film eine Leichtigkeit, die dennoch der Melancholie den nötigen Platz lässt. Sidonie hat seit dem Tod ihres Mannes nicht mehr geschrieben; sie hat sich seither selbst kaum eine Chance gegeben, ihre Gefühle auszudrücken und anderen zu vermitteln.
Madame Sidonie in Japan kommt unaufgeregt daher, ohne große Themen zu scheuen. Leiser Humor und Introspektion werden stimmig kombiniert. Und zu all diesen Stärken kommt die besondere Aura von Isabelle Huppert, die hier als „die Frau aus dem Westen“ sowohl ihr Talent für Slapstick als auch für sanft-romantische Momente ausspielt. Mit Tsuyoshi Ihara und August Diehl hat sie zwei charismatische Leinwandpartner an ihrer Seite, mit denen jede Szene zu einem einnehmenden Austausch wird. (kino-zeit.de)
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Fr. 20:30
A KILLER ROMANCE  OmU
Cinema ObscureHit Man – USA 2023, 113 Min.
Regie: Richard Linklater
mit Glen Powell, Adria Arjona, Austin Amelio
Eine skurrile „True Romance“ als schwarze Komödie mit Tiefgang
Trailer zu A KILLER ROMANCE
Weiterlesen... An einer Universität in New Orleans unterrichtet Gary Johnson (Glen Powell) Philosophie und versucht seinen bedingt aufmerksamen Studenten das Konzept nahezubringen, dass jeder Mensch praktisch alles aus seinem Leben machen kann, dass die eigene Identität form- und veränderbar ist.
Auf den ersten Blick wirkt Johnson nicht unbedingt wie ein gutes Beispiel für dieses Konzept, denn er lebt allein mit zwei Katzen namens Id und Ego, fährt ein unscheinbares Auto und wirkt mit seinem Kassengestell und den schlierigen Haaren wie ein typischer College-Prof. Doch als Nebenjob arbeitet Gary für die Polizei, baut kleine Überwachungskameras und assistiert bei Undercoveroperationen. Eigentlich nur aus dem Hintergrund, doch weil der Kollege Jasper (Austin Amelio) vorübergehend suspendiert wird, wird Gary kurzerhand befördert: Er soll als scheinbarer Auftragskiller agieren, um potentielle Kunden zu überführen, die ihren Ehepartner oder andere unliebsame Menschen ermorden lassen wollen.
Erstaunlicherweise entwickelt Gary großes Talent in seiner neuen Rolle, doch eines Tages sitzt ihm die attraktive Madison (Adria Arjona) gegenüber, die ihren gewalttätigen Mann töten lassen will. Statt den Auftrag anzunehmen und Madison ins Gefängnis zu bringen, beginnt Gary jedoch mit Madison zu flirten – und ihr den Auftragsmord auszureden. Und nicht nur das: Die beiden beginnen eine Affäre, die Gary in vielfache ethische Konflikte bringt.
Gary Johnson hat es tatsächlich gegeben, er lebte in Houston und agierte sehr erfolgreich als Lockvogel, mit dessen Hilfe die Polizei Menschen überführte, die einen Auftragskiller suchten. Eine nicht ganz unproblematische Methode, wie auch in Richard Linklaters loser Verfilmung von Johnsons Leben angedeutet wird: Immer wieder sieht man da Johnson potentielle „Kunden“ zu dezidierten Aussagen, also Geständnissen drängen, die ansonsten vielleicht gar nicht gefallen wären.
Doch auch ein anderer Aspekt wird beleuchtet: Die Frage, ob manche Menschen nicht tatsächlich den Tod verdienen, ob ein Auftragskiller oder die Todesstrafe – also quasi die gesellschaftlich legitimierte Form des Mordes – nicht eine notwendige Methode darstellen, um eine Balance zu halten, um das Böse in einer Gesellschaft zu eliminieren. In seinem Uni-Seminar lässt Gary diese Fragen diskutieren, während er sich in seinem Nebenjob zunehmend mit der Rolle des Auftragskillers anfreundet, anfangs noch, ohne sie wirklich bis zum letzten auszuüben.
Nach und nach ändert sich seine Rolle, seine Identität, wird er vom verkopften Uni-Prof zum lässigen Killer, der mit Madison eine sexuell aufgeladene Affäre eingeht, die auch davon lebt, dass sie glaubt, mit einem Killer ins Bett zu gehen. Das hätte auch der Stoff für ein schweres, von moralischen Fragen geprägtes Drama werden können, doch Richard Linklater neigt wie stets zu einer lässigeren, leichteren, aber keineswegs oberflächlichen Form. Auch wenn der Tonfall an eine schwarze Komödie erinnert: unterschwellig werden in „A Killer Romance“ moralische Fragen verhandelt, die den zunächst absurd anmutenden Ansatz auf überraschende Weise entwickeln. (programmkino.de)
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