Am 1.12. zeigt das Kinoptikum

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Fr. 18:00
WELCOME VENICE  it. OmU
Family Entertainment – IT 2021, 100 Min.
Regie: Andrea Segre
mit Paolo Pierobon, Andrea Pennacchi, Roberto Citran
Eine atmosphärisch bebilderte Familiengeschichte aus den unbekannten Winkeln der Lagune
Trailer zu WELCOME VENICE
Weiterlesen... Piero (Paolo Pierobron) und Alvise (Andrea Pennacchi) entstammen einer alten traditionellen Fischerfamilien aus Giudecca. Giudecca ist eine der Inseln, aus denen Venedig besteht. Piero und sein Bruder Toni arbeiten, wie einst ihr Vater, als Moechen-Fänger – die „moeche“, das sind die typischen Krebse der Lagune, von denen die Familie lange gut leben konnte. Doch die Zeiten haben sich geändert. Das Dasein als Fischer draußen auf den Flüssen ist hart, finanziell einträglich ist die Arbeit längst nicht mehr. Was der Familie, ebenso wie den meisten anderen Einwohnern Venedigs, zu schaffen macht: Die Touristenströme verändern die Stadt – und mit ihr die Realität und die Identität Venedigs und der Menschen. Nach dem tragischen Tod Tonis kommt es in der Folge zu tiefen Rissen innerhalb der Familie.
Andrea Segres Familiendrama handelt von Widersprüchen und Gegensätzen. Diese ziehen sich auf verschiedenen Ebenen wie ein roter Faden durch den Film. Ein erster solcher Kontrast zeigt sich am Handlungsort selbst: der italienischen Lagunenstadt, erbaut auf mehr als 100 kleinen Inseln. Segre stammt selbst aus der Nähe von Venedig hat sich bereits in seiner Doku „Moleküle der Erinnerung“ der eigenen Vergangenheit und seiner Heimatregion gewidmet.
Da Alvise sein Geld damit verdient, Häuser und Wohnungen in Venedig an ausländische Gäste zu vermieten, spielt Segre auf diese Weise auf eines der großen Probleme an: die Stadt versinkt im Kommerz und Massentourismus. Vom einst ursprünglichen Charme ist wenig übriggeblieben. Der Clou ist, dass Segre „Welcome Venice“ zur Zeit der Covid-Pandemie drehte und die Stadt auf eine Art einfängt, wie es lange nicht möglich war – und es womöglich nie mehr sein wird. Nämlich nahezu menschenleer. Und so haben die Aufnahmen der leergefegten Gassen, Plätze und Kanäle etwas Unwirkliches und völlig Entrücktes. Eine spannende Gegensätzlichkeit, die „Welcome Venice“ eine traumhaft-hypnotisierende Wirkung einverleibt.
Unterschiedlicher könnten auch die Brüder Piero und Alvise nicht sein. Gewissermaßen symbolisieren die Zwei das Traditionelle bzw. die Vergangenheit. Und andererseits die Moderne und die Gegenwart. Während Pietro nicht von seinem archaischen Leben als Krabbenfischer lassen kann und noch immer im alten Elternhaus wohnt, will Alvise mit der Zeit gehen und das Haus in renoviertem Zustand künftig lukrativ an Tagesgäste vermieten. Paolo Pierobron und Andrea Pennacchi agieren überzeugend als gegensätzliches Brüderpaar und füllen ihre Rollen mit Tiefe und Kraft aus. Wobei schon optisch die Unterschiede mehr als deutlich werden.
Piero erscheint als zottelbärtiger, uneitler Überlebenskünstler, während der stets akkurat gekleidete, kapitalistisch veranlagte Alvise mit seinem Oberlippenbart an Marlon Brandos Pate erinnert. Eine geschickte, augenzwinkernde Anspielung auf eine Figur, die es – wie Alvise – ebenso auf Macht und Gewinn abgesehen hat. Allerdings fällt auf, dass Segre den Brüdern wenig Raum für charakterliche Entwicklungen zugesteht. Vielmehr verharren die Beiden stoisch in ihren Glaubenssätzen und machen es dem Zuschauer nicht leicht Sympathien zu entwickeln.
Das Erzähltempo und die Art der Inszenierung setzen ganz auf Entschleunigung und Langsamkeit. Dazu passen die ruhigen, stillen Aufnahmen der unberührten Flüsse und Seen, auf denen Piero seiner Arbeit nachgeht. All dies erfordert vom Betrachter mitunter Geduld und die Bereitschaft, sich auf diese fast besinnliche, in jedem Fall hochatmosphärische Stimmung einzulassen.
(programmkino.de)
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Fr. 20:30
PAST LIVES - IN EINEM ANDEREN LEBEN  OmU
USA 2023, 106 Min.
Regie: Celine Song
mit Greta Lee, Teo Yoo, John Magaro
Die ebenso herzerwärmende wie kluge Geschichte einer Wiederbegegnung
Trailer zu PAST LIVES - IN EINEM ANDEREN LEBEN
Weiterlesen... Schon der Einstieg deutet Songs kreative Ader, ihre präzise Beobachtungsgabe an. Irgendwo in einer Bar sitzen spät in der Nacht eine Frau und zwei Männer am Tresen. Aus dem Off ertönen plötzlich die Stimmen anderer Gäste, deren Perspektive der Zuschaue offenkundig einnimmt. Angeregt stellen sie Vermutungen an, in welcher Beziehung das von ihnen und uns beobachtete Trio steht. Einer der Drei wirkt wie das fünfte Rad am Wagen, kommt in die Unterhaltung der beiden anderen nicht wirklich rein.
Mit dieser kleinen Episode, an deren Ende die Frau an der Bar direkt in die Kamera schaut, weckt der Film geschickt Neugier, um dann ganz langsam der Frage nach dem Verhältnis der Personen auf den Grund zu gehen. 24 Jahre springt die Erzählung in der Zeit zurück und führt uns nach Seoul, wo sich die 12-Jährige Na Young (Moon Seung-ah) auf den Umzug ihrer Familie nach Kanada vorbereitet. Eine andere Sprache, ja sogar ein anderer Name warten auf das Mädchen, das als ehrgeizig eingeführt wird. Ihre Auswanderung bedauert vor allem ihr bester Freund Hae Sung (Leem Seung-min), mit dem sie tagein, tagaus zur Schule geht. Dass sich zwei Leben im wahrsten Sinne des Wortes trennen, unterstreicht Celine Song beim Abschied mit einem schlichten, aber einprägsamen Bild: An einer Gabelung muss Hae Sung eine andere Straße nehmen als Na Young, die einen steilen Weg emporsteigt. Wahrscheinlich eine Anspielung auf die Herausforderungen, die in der Fremde auf sie warten.
12 Jahre später lebt Na Young als Nora (jetzt gespielt von Greta Lee) in New York und verdient ihren Lebensunterhalt als Autorin. Durch Zufall wird sie im Internet darauf aufmerksam, dass Hae Sung, der inzwischen seinen Wehrdienst absolviert hat, nach ihr sucht. Kurzerhand nimmt sie Kontakt mit ihm auf, und damit beginnt eine von mehreren einfühlsam komponierten Stimmungsmontagen. In den zusammengeschnittenen Videogesprächen der Schulfreunde, die schon damals wahrscheinlich ein bisschen ineinander verliebt waren, ist schnell die alte Vertrautheit zu spüren.
Trotz Zeitverschiebung genießen sie die Unterhaltungen. Doch wie es manchmal so ist, bricht der Kontakt irgendwann ab. Für Nora eröffnen sich neue Wege, als sie in einem Künstlerhaus dem Schriftsteller Arthur (John Magaro) begegnet, den sie schließlich heiratet. Als weitere 12 Jahre ins Land gezogen sind, kündigt sich Hae Sung bei einer New-York-Reise überraschend als Besucher an. Erstmals seit ihrer Trennung im Kindesalter sehen sich die beiden wieder, wobei durchaus etwas in der Luft zu liegen scheint.
Celine Song hätte aus dieser Gemengelage eine typische Eifersuchtskiste mit zahlreichen Irrungen und Wirrungen stricken können. Statt überhitzte, aufgebauschte Konflikte loszutreten, schenkt sie dem Publikum aber einen bedächtigen, emotional tiefschürfenden Austausch über die Mysterien des Lebens, die Liebe, das Schicksal und die Erfahrungen von Einwanderern. Die von der Biografie der Filmemacherin beeinflusste Geschichte fließt eher dahin, ist unterlegt mit einer leicht verträumten, nie aufdringlichen Musik.
Immer wieder gibt es kleine, feine Einsichten, etwa zu Noras amerikanischer Identität und Hae Sungs traditioneller koreanischer Prägung. Mehrfach geht Song auch auf die Bedeutung der Sprache ein, und an einer Stelle erlaubt sie sich einen augenzwinkernden Metakommentar, wenn Nora und Arthur im Bett darüber sinnieren, dass er in einer klassisch erzählten Dreiecksgeschichte wohl den Part des Bösewichts übernähme. Toll, dass der Film auf einen derart abgedroschenen Plot-Move verzichtet, ohne Noras Ehemann zu einem blassen Naivling zu degradieren. Ein bisschen mulmig ist ihm schon, dass sich seine Gattin nach all den Jahren ihrem Kindheitsfreund annähert. Gleichzeitig versucht er jedoch, Hae Sung ohne Vorbehalte zu begegnen. Mitfühlen kann man mit Arthur vor allem gegen Ende, wenn die Handlung in die Bar vom Einstieg zurückkehrt. Mehr und mehr fokussiert sich die Kamera dort auf Nora und ihren Besucher und lässt den Schriftsteller regelrecht links liegen.
Seine ganze Kraft spielt das leise, unaufgeregte Liebesdrama dann noch einmal in den letzten Momenten aus. Unsichere Blicke, ein langgezogenes Schweigen entfalten eine unverhoffte Wucht. Wer klischeefreies Kino für Herz und Hirn sehen will, kommt an „Past Lives – In einem anderen Leben“ nicht vorbei!
(programmkino.de)
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