Am 30.11. zeigt das Kinoptikum

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Do. 18:00
MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT  frz. OmU
Cinema francaisAvec amour et acharnement – F 2022, 116 Min.
Regie: Claire Denis
mit Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin
Eine emotional wuchtige Menage-á-trois rund um Juliette Binoche
Trailer zu MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT
Weiterlesen... Urlaub am Meer. Sara (Juliette Binoche) und ihr Lebensabschnittsgefährte Jean (Vincent Lindon) fühlen sich frei und glücklich, wie zwei Delphine schwimmen sie nebeneinander her. Nach ihrer Rückkehr ins Pariser Stadtleben kehrt die Alltagsroutine zurück, eine Zäsur ergibt sich, als Sara im Gewimmel einer Metrostation zufällig einen längere Zeit nicht gesehenen Freund entdeckt. Dieser Moment trifft sie wie ein Blitzschlag. Zufällig erzählt ihr Jean, dass just dieser Freund ihm die Partnerschaft in einer Agentur zur Vermittlung junger Rugby-Talente angeboten hat. Eine Begegnung von Sara mit François (Grégoire Colin), über den sie vor mehr als zehn Jahren Jean überhaupt erst kennengelernt hatte, bleibt nicht aus. Und dieses Wiedersehen sorgt in der Folge dafür, dass nicht nur für Sara eine Achterbahnfahrt der Emotionen beginnt und sie sich entscheiden muss, mit welchem der beiden Männer, denen sie sich auf doch recht unterschiedliche Weise in Liebe verbunden fühlt, sie zusammenleben möchte.
Die Geschichte, die Claire Denis in ihrem jüngsten, 2022 bei den Filmfestspielen in Berlin mit dem Silbernen Bären ausgezeichneten und im Herbst dann auch bei den Französischen Filmtagen in Tübingen/Stuttgart vorgestellten Werk verhandelt, ist im Grundsatz keine neue. Doch erzählt und vor allem gespielt ist sie mit einer Intensität, wie man sie auf der Leinwand nur selten zu sehen bekommt. Was Sara fühlt, das meint man als Zuschauender förmlich selber zu spüren. „C’est repartie“, sagt Sara über die Rückkehr schlafloser Nächte und über ihr inneres Aufgewühltsein, welches sie manchmal wie unter einer Trance erscheinen lässt. Auch Lindon ist in seinen Reaktionen und in seiner Haltung wahrhaftig, gestresst zudem durch im Nebenplot verhandelte Probleme mit seinem jugendlichen Sohn, um den zu kümmern sich dessen Großmutter (Bulle Ogier) jedoch überfordert fühlt. Denis legt dabei immer wieder auch die Mechanismen gesellschaftlicher Rollenbilder offen, die zum Beispiel die Frau als ohnmächtig und bevormundet charakterisieren, ohne dass es den Männern des Films in irgendeiner Art und Weise bewusst wäre und dazu führt, dass beide Männer auf jeweils ihre Art und Weise Druck auf die von ihnen begehrte Frau ausüben. Nach und nach einstreute Hinweise auf die Vorgeschichte der beiden Männer helfen dabei, die Figuren in ihrem Verhalten besser zu verstehen.
Claire Denis und ihre Co-Autorin Christine Angot haben schon 2017 beim Spielfilm „Meine schöne innere Sonne“, in dem es um Roland Barthes Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“ ging, zusammengearbeitet. Diesmal gab Angots Roman „Un tournant de la vie“ den Anstoß für dieses seinen Figuren immer wieder auch in Nahaufnahmen auf den Leib rückendes Liebesdrama. Ein Drama, dass sich bekannten Erzählmustern jedoch entzieht und mit der menschlichen Psyche zu spielen weiß.
Interessant auch zu beobachten, wie und wann pandemiebedingt Masken getragen werden, wie Küsschen links und rechts selbst bei Begegnungen mit sehr vertrauten Menschen unterbleiben und zu Distanz führen. Weitere gesellschaftliche Aktualität liefern Interviews von Sara als Radiojournalistin mit der libanesischen Verlegerin Hind Darwish zum Thema Flucht und Immigration oder Aussagen über die von Ex-Fußballstar Lilian Thuram in seinem 2021 erschienenen Buch „Das weiße Denken“ geäußerten Gedanken zu Rassismus und der Rolle der Hautfarbe als psychologischem Problem. Nicht unwesentlich ist auch die Rolle, die einmal mehr die britische Band Tindersticks - seit „Nénette et Boni“ sind sie bei Claire Denis gesetzt – spielt. Ihr hypnotischer Score mit oft düsteren Streichern, die in ihrer Schwere an die Auftragsarbeit „Ypres“ (2014) erinnern, verstärkt die bewegten Gefühle von glücklichen Zeiten am Meer bis hin zu aufbrausenden Streitigkeiten in Paris aufs Intensivste.
(programmkino.de)
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Do. 20:30
PROMISING YOUNG WOMAN  DF
Tag gegen Gewalt – USA 2022, 114 Min.
Regie: Emerald Fennell
mit Carey Mulligan, Bo Burnham, Laverne Cox
Die originelle, teils bitterböse Variante eines "Rape-and-Revenge"-Thrillers
Trailer zu PROMISING YOUNG WOMAN
Weiterlesen... Schon die ersten Bilder von „Promising Young Woman“ machen klar, dass dieser Film anders ist: Die Kamera zeigt tanzende Körper, Hintern, Schenkel, zeigt Hüftschwingen, angedeutete Kopulationsbewegungen – aber die Körper gehören zu Männern. Mit diesem simplen Trick ist er schon entlarvt, der male gaze der Kamera, der gerne als „objektiv“ wahrgenommen wird, jedoch tatsächlich gerade Frauen oft zum Objekt werden lässt. Hier aber sind es Männer, die zum Objekt werden – und dieser Trick, den Schauenden die eigenen Sehgewohnheiten vorzuführen, wird Emerald Fenells Film im Folgenden immer wieder anwenden. Er ist das Grundprinzip dieses Films, der deshalb auch beim ersten Sehen am entlarvendsten ist, wenn man möglichst wenig über die Handlung im Vorfeld weiß. Da es aber nicht möglich ist, über diesen Film zu schreiben, ohne Handlungselemente zu benennen, folgt hier ausnahmsweise der Hinweis, dass die folgende Kritik Spoiler beinhaltet.
Dieser Blick der Kamera hat einen Grund. Denn auf Männer hat es Cassie (Carey Mulligan) abgesehen – nicht auf einen bestimmten Mann, sondern auf einen bestimmten Typus: den netten Kerl. Ein solches Exemplar ist es nun auch, das sich aus der Unterhaltung mit seinen offensichtlich chauvinistischen Kollegen löst, um die scheinbar sturzbetrunkene junge Frau zu fragen, ob er ihr helfen könne. Aber er ruft ihr nicht einfach ein Taxi, sondern nimmt sie mit in seine Wohnung. Dort gibt er ihr noch mehr Alkohol und will sie penetrieren, obwohl sie offensichtlich so betrunken ist, dass sie keine Zustimmung mehr geben kann. Allerdings ist Cassie nicht betrunken. Sie tut nur so – und dann, ja, wenn sie feststellen, dass sie doch nüchtern ist, dann sind diese netten Kerle doch sehr erschrocken.
Regelmäßig zieht Cassie los, um ihre private Rache zu üben. Ihr Medizinstudium hat sie abgebrochen, sie lebt wieder bei ihren Eltern und arbeitet in einem Coffee-Shop. Vor allem aber vermisst sie ihre Kindheitsfreundin Nina, die auch der Grund ist, warum sie tut, was sie tut. An Beziehungen ist sie nicht interessiert, sie hält die Menschen auf Distanz. Dann taucht Ryan (Bo Burnham) auf. Er hat mit ihr studiert, war immer ein bisschen verknallt in sie und ist so harmlos, so sympathisch, nett und witzig, dass sie seinem Werben nicht widerstehen kann. Aber Ryan hat auch noch Kontakt zu den alten Mitstudent*innen, die mittlerweile alle erfolgreiche Leben haben. Und an manche von ihnen hätte Cassie lieber nicht mehr gedacht.
Drehbuchautorin und Regisseurin Emerald Fenell spielt in ihrem Film geschickt mit visuellen Stereotypen – sei es am Anfang oder später die zuckersüße, leicht pinkige Ausstattung in dem Café und bei Cassies Kleidung. Sie nimmt das Girlige, das Niedliche als Kontrapunkt zu Cassies Verhalten, deutet immer wieder auch mehr Gewalt an als tatsächlich stattgefunden hat. Das ist ein gutes Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer*innen, das einem vor Augen führt, was man mittlerweile so gewohnt ist. Das aber auch Grenzen austestet, weil man sich unweigerlich fragt, wie weit Cassie gehen wird – und ob sie zu weit geht.
Bei ihren Rachefeldzüge arbeitet sich Cassie – wie der Film in seiner Inszenierung insgesamt – vor allem an Stereotypen ab: Schon die „netten Jungs“, die sie aussucht, lassen sich Typen zuordnen. Dazu kommt die Verantwortliche, die lieber College-Jungs schützt als College-Mädchen zu glauben; das andere Mädchen, das lieber der Betrunkenen die Schuld gibt; der Anwalt, der das Opfer unter Druck setzt. Jedoch trifft Fennell mit diesen vermeintlichen Klischees einen Kern: Ausreichend Berichte insbesondere von sexualisierter Gewalt auf College-Campussen weisen in genau diese Richtung. Dort liegt das Problem.
Für Cassie jedoch gibt es aus dieser Rache keinen Ausweg, wenngleich er sich kurz einmal andeutet. Sie ist nicht das direkte Opfer sexualisierter Gewalt, ihre Freundin ist es, die vergewaltigt wurde. Aber sie musste seither nicht nur miterleben, welche Folgen die Gewalt hatte, sondern wie wenig sich das System für die Opfer interessiert. Deshalb gibt es letztlich keine zufriedenstellende Gerechtigkeit – nicht in der patriarchalen Gesellschaft, in der wir leben. Insbesondere das vieldiskutierte Ende macht das mehr als deutlich – es ist nihilistisch und zutiefst herzzerbrechend. In diesem tieftraurigen letzten Twist steckt die bittere Gewissheit, dass Polizei und Strafverfolgungsbehörden eine erschreckende Statistik bei sexualisierten Gewaltverbrechen haben. Aber Mord ist etwas anderes, eine Tote ist etwas anderes – insbesondere wenn sie jung und weiß ist. Und ein ehemaliger Anwalt mit schlechtem Gewissen die Gelegenheit bekommt, etwas gut zu machen.
Dieses Ende funktioniert innerhalb des Films, dem in der bisherigen Rezeption allerhand zugeschrieben wurde und der durch die Preise und Nominierungen viel Aufmerksamkeit bekommen wurde. Promising Young Woman ist ein bitterböser Film über eine Frau, die sich rächt. Aber er erfindet nicht das Rape-Revenge-Movie-Schema neu, er ist schon gar keine radikale feministische Umdeutung. Vielmehr macht er deutlich, dass über dieses Subgenre an sich geredet werden sollte, über den Umgang mit Vergewaltigung als Handlungsmovens, über die Konzentration auf Rache als einzig möglicher Umgang mit Trauma. Und nicht zuletzt auch darüber, warum Trauma allzu oft dazu dient, dem Publikum etwas zu erklären. Promising Young Woman könnte der Film sein, der genau diese Unterhaltungen anregt.
(kino-zeit.de)
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