Am 23.9. zeigt das Kinoptikum

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Sa. 15:30
DIE FABELHAFTE REISE DER MARONA
KinderKinoL´extraordinaire voyage de Marona – RO/F 2019, 92 Min.
Regie: Anca Damian
Ein niedliches Hündchen blickt auf sein Leben zurück – und auf das Glück seiner Menschen
Trailer zu DIE FABELHAFTE REISE DER MARONA
Weiterlesen... „Marona“, „Ana“, „Sara“… das kleine Hundebaby mit der herzförmigen Nase trägt viele Namen, jeder Mensch gibt ihr einen neuen. „Neun“ war sie nur bei ihrer Mutter, da war das Leben noch einfach: das Glück einer großen, warmen Zunge, die Welt zunächst Abbildungen aus Enzyklopädien, ein wilder Ritt durch den Bücherschrank im allerersten Zuhause – lauter Motive, die später wieder auftauchen.
Dann wird sie, eher versehentlicher Effekt einer kurzen Romanze zwischen einer rassistischen, reinrassigen Dogge und einer Promenadenmischung, ausgesetzt – und taucht in die Vielfalt menschlicher Welten ein. Erst beim Akrobaten und Träumer Manole, dann beim Bauingenieur Istvan mit der so gebrechlichen wie knallharten Mutter und der Freundin, für die Hunde nur ein weiteres Statussymbol sind. Bis sie schließlich zu Solange kommt, dem Kind, das ihr den Namen Marona gibt und das sie begleiten wird durch die Pubertät bis zur jungen Erwachsenen, die dann schließlich weinend neben ihr liegt, als Marona, von einem Auto überfahren, auf der Straße stirbt.
Die Fabelhafte Reise der Marona, dieser unfassbar schöne, wilde Animationsfilm, setzt diesen tieftraurigen Moment an den Anfang, als er noch nicht viel bedeutet. Macht ihn dadurch weniger schrecklich, weil danach erst der Blick auf ein gelebtes, angefülltes Leben folgt. Macht ihn zugleich schrecklicher, weil er unausweichlich kommen wird und weil er auf ein gelebtes, angefülltes Leben folgt.
Marona selbst bleibt dabei stets klar umrissen, während um sie herum die Welt sich stets völlig wandelt: Regisseurin Anca Damian hat gemeinsam mit den Künstler_innen Brecht Evens (Figuren), Gina Thorstensen und Sarah Mazzetti (Hintergrundillustrationen) für jeden Menschen eigene Farbwelten und Ästhetiken erforscht und durchgespielt. Beim Rotlichtviertel, in dem Manole lebt, ist der Hintergrund schwarz, die Häuser knallbunt-neonfarbene Umrisse, die Figuren in ihnen zuweilen nur Strichmännchen, andere ausgeschnittene Papierfiguren, mit Blei- oder Buntstift gezeichnet und schraffiert. Der Akrobat selbst ist dehnbar wie eine Gummipuppe, seine Bewegungen und Verrenkungen durch die Zeichnungen verlängert.
Die Arbeitswelt von Istvan hingegen ist dann geometrisch strukturiert, zwischen Blaupausen und Architekturzeichnungen changierend zu schwarz-weiß-bunten Mondrian-Gemälden. Mit Solange hingegen dominieren schließlich die warmen Farben: ein gelb-grüner Park, eine flächig-bunte Wohnung voller Schnörkel in Wasserfarben.
Und zu jedem Wechsel des Lebensraumes bietet der Komponist Pablo Pico die passende Musik: nicht aufdringlich, aber die Situation unterfütternd, Maronas Verwirrung und sich wandelnder Blick von welpenhafter Begeisterung hin zu größerer Abgeklärtheit. Das alles findet sich in den Tönen, in den Bildern und in Maronas unaufdringlicher Beschreibung aus dem Off.
Gelegentlich erinnern die Häuser, Wohnungen und Straßen an Wimmelbilder und Szenen aus den Büchern von Ali Mitgutsch: ein Blick auf die Menschen, auf ihre Stärken und Schwächen, die Art und Weise, wie sie miteinander umgehen und mit der Welt um sich herum. Ein Blick, der sich die Hundeperspektive nicht nehmen lassen will: „Istvan wirft den Ball so gerne.“ (Nur holen mag er ihn anscheinend nicht.) Und der daher auch ein Blick von fast unschuldigem Gleichmut und bedingungsloser Zuneigung sein kann, der alle Schwächen sieht oder wenigstens sichtbar macht und sich dennoch in sein Schicksal fügt.
„Für Hunde ist Glück etwas anderes als für Menschen,“ sagt Marona, zu der Zeit Ana, einmal über ihren Blick auf Manole, der ruhelos nach dem immer mehr, immer Neuen sucht, während Marona sich mit weniger zufrieden gibt: Liebe, Nähe, Futter, die Fülle der Welt. Ob das stimmt, hinterfragt der Film wie nebenbei – was beschreiben wir denn für uns als Glück, was macht uns glücklich? Wonach suchen wir, was füllt uns aus?
Die Fabelhafte Reise der Marona kommt etwas unscheinbar als Animationsfilm für junge Zuschauer_innen daher, mit seinen kindertauglichen Bildern und der unmittelbaren Erzählperspektive. Aber gerade darin, in Ton, Zeichnung, Musik und Bewegung, scheint Menschsein in seiner ganzen Vielfalt und Widersprüchlichkeit auf. Mit den Beobachtungen von Liebe und Verzweiflung, Sehnen und Zufriedenheit stößt der Film genau in die Kerbe, in der aus dem einzelnen Leben die Conditio humana hervorscheint.
Diese Meditation ohne Gedankenschwere und übergroße Ernsthaftigkeit, als poetisches und visuelles Freudenfest, als abwechslungsreiche Geschichte voll von sich wandelnden Gestalten und Welten zu inszenieren, stilistisch so abwechslungsreich wie treffsicher, das ist nicht nur gekonntes Handwerk, das ist ein so großes wie bescheidenes Kunstwerk. (kino-zeit.de)
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Sa. 18:00
DIE NACHBARN VON OBEN
CH 2023, 88 Min.
Regie: Sabine Boss
mit Ursina Lardi, Sarah Spale, Maximilian Simonischek
Eine pointierte, frivol angehauchte Paartherapie aus der näheren Umgebung
Trailer zu DIE NACHBARN VON OBEN
Weiterlesen... Anna hat die Nachbarn Salvi und Lisa eingeladen. Ihrem Mann Thomas passt das gar nicht. Am Ehesten noch möchte er den Abend nutzen, um die Zwei darauf anzusprechen, dass sie beim Sex sehr laut sind. Anna will verhindern, dass das Gespräch darauf kommt, aber als es doch passiert, sind Salvi und Lisa gar nicht peinlich berührt. Sie wissen, dass es bei ihnen lauter werden kann – wenn sie nicht nur zu zweit sind. Nun machen sie Anna und Thomas ein Angebot, das den Abend anders ausklingen lässt, als jeder von ihnen von dem Moment an, da Salvi und Lisa vor der Tür standen, gedacht hätte.
Es braucht nicht mehr als ein exzellentes Drehbuch, vier gut aufgelegte Schauspieler und eine Geschichte, die es versteht, den Humor der Situation auszuspielen, der es aber auch mühelos gelingt, in ernsthafte erzählerische Gewässer vorzustoßen. Denn „Die Nachbarn von oben“ ist ein Film, in dem es vor allem ums Menschliche geht. Anna und Thomas streiten fast nur noch. Sie fühlt sein Desinteresse, er möchte am liebsten weg sein. Salvi und Lisa sind die Katalysatoren, die es braucht, damit das, was über Jahre unausgesprochen blieb, endlich auf den Tisch kommt.
Der Film driftet dabei ins Territorium einer Paartherapie ab, immer aufgeladen durch den Sex, der im Raum steht, durch die Versuchung, aus den eigenen Grenzen auszubrechen und etwas zu erleben, das den Trott des Alltags vergessen macht. „Die Nachbarn von oben“ hätte auch funktioniert, wenn Anna und Thomas direkt beim Therapeuten gesessen wären, in der Sicherheit ihrer eigenen Wohnung, die zumindest einem von ihnen immer enger und drückender erscheint, kommen nun die Wahrheiten ans Licht, die zu lange verborgen waren. Lisa ist Psychotherapeutin, aber auch so etwas wie der Advocatus Diaboli. Sie warnt nicht nur vor dem Moment, da Dinge gesagt werden, die nicht zurückgenommen werden können, sondern wirkt auf beide auch ein.
Bisweilen hat man gar das Gefühl, sie würde Anna und Thomas manipulieren. Das ist eine andere, vielleicht perfide Lesart dieser intelligenten Komödie, sie ist aber auch nur möglich, weil mit Anna und Thomas ein Paar im Mittelpunkt steht, deren Beziehung längst nicht mehr stabil ist. Stabilität, so Lisa, ist aber nötig, wenn sich ein Paar auf Partnertausch oder Gruppensex einlässt. Sie hat erkannt, dass Anna und Thomas kein solch stabiles Paar sind, und dennoch steht das Angebot im Raum.
„Die Nachbarn von oben“ ist ein smarter Film, der in knapp 90 Minuten das Selbstbildnis der beiden Protagonisten, aber auch die Fassade, die sie gar sich selbst gegenüber aufrechterhalten, bröckeln lässt. Er ist die Dekonstruktion einer Liebe, die zuerst prickelnd und aufregend, dann schal wurde und schließlich kaum noch existiert – und das mit herausragendem Gespür für den Humor dieser traurigen Situation und gespickt mit pointierten Dialogen, von denen Roeland Wiesnekker als Thomas die besten abbekommen hat.
(programmkino.de)
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Sa. 20:30
FALLENDE BLÄTTER  OmU
Kuolleet Lehdet – FIN 2023, 81 Min.
Regie: Aki Kaurismäki
mit Alma Pöysti, Jussi Vatanen
Zum Bundesstart: Nach mehr als 10 Jahren endlich wieder ein „echter Kaurismäki“, lakonisch und zauberhaft wie eh und je
Trailer zu FALLENDE BLÄTTER
Weiterlesen... In der finnischen Hauptstadt Helsinki (bzw. der Kaurismäki-Version von Helsinki) leben Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen) bescheidene Leben. Sie arbeitet in einem Supermarkt, räumt die Regale ein und nimmt bisweilen eine Packung abgelaufener Wurst mit nach Hause, weswegen sie bald entlassen wird. Er arbeitet auf dem Bau – zumindest noch – lebt in einem Container und geht gelegentlich mit seinem Freund zur Karaoke, an der er aber nicht teilnimmt, denn: Harte Jungs singen nicht. Noch wissen die beiden Nichts voneinander, leben vor sich hin, in einer zeitlosen Welt, die weder bewusst die Vergangenheit darstellt, noch deutlich die Gegenwart.
Das Radio in Ansas Küche etwa, scheint aus den 60er Jahren zu stammen, aber sie hört darin Nachrichten, die auf den aktuellen Krieg in der Ukraine Bezug nehmen. Fernseher gibt es in dieser Welt dagegen nicht, die Moderne scheint noch keinen Einzug gehalten zu haben. Irgendwann kommt es zu einer ersten Verabredung – man sieht sich Jim Jarmuschs „The Dead don’t die“ im Kino an – doch bevor Ansa und Holappa wie der kleine Tramp und das Mädchen in den Sonnenaufgang gehen können, wollen noch einige Hindernisse überwunden werden.
Ein eigenartiges Gefühl hinterlässt Aki Kaurismäkis „Fallen Leaves“: Ein neuer Film des finnischen Kultregisseurs ist dies, der sich dennoch in jedem Moment, in praktisch jedem Dialog, jeder Geste, jedem Schauplatz bekannt anfühlt. Als hätte es Kaurismäki zum diesmal vielleicht endgültigen Ende seiner Karriere darauf angelegt, ein Pastiche seiner bisherigen Arbeiten zu drehen, eine Art Best Of-Kaurismäki.
Die Welt, die er dabei zeigt, scheint sich seit den 80er Jahren, als Kaurismäki begann, Filme zu drehen, kaum geändert zu haben. Damals war das karge Set-Design wohl nur wenig von der finnischen Realität entfernt, im Laufe der Jahre hat sich dagegen Finnland selbst weit mehr entwickelt als die Filme des im Ausland wohl berühmtesten Finnen.
Kein Regisseur und auch sonst kein Künstler dürfte das Bild von Finnland stärker geprägt haben als Kaurismäki. Das Bild eines wortkargen, melancholischen Volkes, dass das Leben lakonisch an sich vorbeiziehen lässt ist dabei im Lauf der Jahre entstanden, ist die Welt, in der Kaurismäkis Filme spielen, unverwechselbar geworden. In gewisser Weise ist „Fallen Leaves“ also pure Nostalgie, erlaubt es dem Zuschauer einmal mehr in die bekannte, auch die heile, Kaurismäki-Welt einzutauchen, in der die Dinge sich im Lauf der Jahrzehnte nicht verändert haben. Doch die Kaurismäki-Nostalgie funktioniert anders als etwa der Versuch allzu vieler Serien und Filme der letzten Jahre, sich auf eine Reise in die 80er oder 90er Jahre zu begeben und eine nur vermeintlich einfachere Zeit wiederaufleben zu lassen.
Kaurismäkis-Filme haben bei allem Realismus, bei aller Sympathie für die Arbeiterklasse („Fallen Leaves“ soll als Weiterführung der um 1990 entstandenen Proletarischen Trilogie verstanden werden), immer auch etwas Irreales, etwas Märchenhaftes. Das Finnland, das Kaurismäki zeigt, hat so vermutlich nie existiert, es war schon Mitte der 80er Jahre eine Illusion und ist es 40 Jahre später noch viel mehr. Allein an der Lust, sich von Kaurismäki, seinen einzigartigen Figuren und seinem speziellen Blick auf die Welt verzaubern zu lassen hat sich nichts geändert.
(programmkino.de)
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