Family Entertainment – 20.000 especies de abejas – SP 2023, 130 Min. Regie: Estibaliz Urresola Solaguren
mit Sofía Otero, Patricia López Arnaiz, Ane Gabarain
Die einfühlsame Identitätssuche im Kreise der Familie im sonnigen Baskenland
Weiterlesen...Die achtjährige Hauptfigur aus „20,000 Species of Bees“, dem Langfilmdebüt der baskischen Drehbuchautorin und Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren, hat sich zu Beginn des Plots noch nicht entschieden, welchen Namen sie tragen möchte. Mit ihrem männlich konnotierten Geburtsnamen kann sie sich nicht identifizieren; ihr weiblich anmutender Spitzname dient gelegentlich dazu, von einem neuen Umfeld als Mädchen wahrgenommen zu werden, ist jedoch – etwa wenn die große Schwester ihn etwas abschätzig verwendet – auch noch nicht gänzlich richtig. Daher soll auch in diesem Text zunächst einfach von „der Hauptfigur“ die Rede sein. Die Hauptfigur (interpretiert von Sofía Otero) reist mit ihrer Mutter Ane (Patricia López Arnaiz) und ihren beiden älteren Geschwistern in Anes katalanisches Heimatdorf, wo die Taufe eines neuen Familienmitglieds stattfinden soll. Im Gegensatz zum deutschen Beitrag Oskars Kleid (2022), der sich ebenfalls mit einem trans Kind befasste, allerdings dessen Vater ins Zentrum rückte, lässt sich 20,000 Species of Bees auf die kindliche Perspektive ein. Zudem setzt das Werk in der Behandlung seines Sujets nicht auf klamaukige oder betont dramatisch konstruierte Konfrontationen, sondern deutet subtil die Herausforderungen an, die ein trans Kind zusätzlich zu den üblichen Hürden des Heranwachsens zu bewältigen hat. Rasch werden die langen Haare der Hauptfigur bemerkt, die für viele (außerhalb Landshuts) nicht zum Bild eines achtjährigen Jungen passen, das einige Verwandte auf die Hauptfigur projizieren. Es sei Zeit für eine „Jungenfrisur“, meint etwa Anes Mutter Lita (Itziar Lazkano), die ihrer Tochter in einer späteren Diskussion dazu rät, dem Kind Grenzen zu setzen, da es „verwirrt“ sei. In den Positionen, die die Erwachsenen vertreten, erweist sich das Skript als differenziert. So erscheint etwa Anes Umgang mit der Identitätssuche ihres Kindes anfangs durchaus aufgeschlossen. Es gebe weder Jungs- noch Mädchenkram, sagt Ane. Sie drängt ihr Kind in keine Rolle. Es zeigt sich aber auch, dass diese vermeintliche Offenheit ein Weg von Ane ist, um sich nicht weiter mit dem Thema beschäftigen zu müssen. Anders geht wiederum Lourdes (Ane Gabarain), die resolute Großtante der Hauptfigur, mit dem Ganzen um. Die leidenschaftliche Imkerin hört dem Kind zu, verwendet als Erste bewusst weibliche Pronomen und begegnet der Hauptfigur mit Empathie und Humor. In den gemeinsamen Szenen zwischen der Hauptfigur und Lourdes hat der Film seine stärksten Momente. Schön sind auch die Passagen, in denen die Solidarität unter Kindern eingefangen wird – etwa mit dem Bruder oder mit einem Mädchen aus dem Dorf, das ziemlich gelassen reagiert, als es die Hauptfigur beim Baden in der Natur nackt sieht. An Orten wie dem Schwimmbad oder dem Shoppingcenter, mit Toiletten, Umkleiden und Abteilungen, die nach Geschlecht getrennt sind, ist die Freiheit, die die Hauptfigur in den Wäldern erlebt, derweil noch nicht angekommen. Wenn sie einmal groß sei, wolle sie nicht so werden wie ihr Papa Gorka (Martxelo Rubio), gesteht die Hauptfigur ihrer Mutter bei einer abendlichen Unterhaltung. Und der Film macht deutlich: Das muss sie auch nicht. Letztlich findet sie einen Namen, mit dem sie sich wohlfühlt: Lucia. Wie die Heilige Lucia, deren Name „Die Leuchtende“ bedeutet. (kino-zeit.de)Ausblenden
Fr. 20:30
PEARL OmU
Cinema Obscure – USA/CAN/NZ 2023, 102 Min. Regie: Ti West
mit Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright
Das Prequel zu „X“ vom Erwachen des dunklen Herzens der ikonischen Blutrausch-Killerin.
Weiterlesen...Pearl lebt bei ihrer Mutter und ihrem pflegebedürftigen Vater, während ihr Mann im Krieg ist. Ihre Mutter ist herrisch. Die junge Frau träumt indes davon, etwas aus ihrem Leben zu machen. Sie möchte tanzen. Als sie hört, dass in der örtlichen Kirche ein Vortanzen für eine Show stattfindet, will sie unbedingt daran teilnehmen. Ihre Mutter verbietet es, doch das ist der Moment, an dem Pearl, die schon immer Freude daran hatte, Tiere zu töten, aus ihrem Korsett ausbricht. Sie ist gewillt, zu tun, was immer auch notwendig ist, um ihren Traum zu erfüllen. Und wenn das nicht gelingt, dann macht sie aus dem, was sie hat, das Beste ... Während „X“ aussah wie ein Film der 1970er Jahre, mutet „Pearl“ weit altmodischer an. Nicht wie ein Stummfilm jener Dekade, in der er spielt, eher schon wie ein Film der 1930er Jahre. Schon die Stabsangaben am Anfang machen das deutlich. Die Inszenierung aber auch. „Pearl“ hat etwas Märchenhaftes, die Hauptfigur ist eine Art verdrehte Version von Dorothy aus „Der Zauberer von Oz“. Die ausdrucksstarken Farben unterstützen dieses Feeling noch. Der Film selbst ist vor allem ein psychologisches Drama. Eines über familiären Missbrauch, aber auch eines über einen zutiefst verstörten Menschen. Denn Pearl war nie normal - das weiß auch ihre Mutter, und genau darum behandelt sie die Tochter, wie sie es tut. Wenn Pearl sich unbeobachtet fühlt, dann tötet sie, wobei die Tiere, denen sie den Garaus macht (und dann an den Alligator im See verfüttert) immer größer werden. In Pearl schlummert alles, was einen Serienkiller ausmacht. Es brauchte nur noch den einen Schubs, um sie endgültig in den Abgrund zu stoßen. Die ersten zwei Drittel des Films sind vor allem ein Drama, erst dann entfaltet sich der Horror, den Fans von Ti West vielleicht erwarten. Dann kommt es auch zum Morden, wobei Pearl nimmt, was zur Hand ist - sei es Mistgabel oder Axt. Die letzte Einstellung ist dann eine, die lange nachwirkt. Sie weckt Reminiszenzen an die Filme, die auf Basis der Morde von Ed Gein geschahen, und sie erlaubt den Blick in das groteske Bild des Wahnsinns. Der Film gehört ganz Mia Goth. Sie meistert den Südstaaten-Akzent, sie liefert eine atemberaubende Tanzeinlage ab, und sie versteht es, den Wahnsinn ihrer Figur greifbar zu machen. Es gibt den einen Moment, in dem sie wirklich bricht, gefolgt von einer minutenlangen Sequenz, die ohne jeden Schnitt auskommt und in der Goth eine schauspielerische Tour de Force abliefert, die eindrucksvoll ist. Wie es mit Pearl ausgeht, hat man in „X“ gesehen, wie es mit der Überlebenden aus „X“ weitergeht, wird sich im dritten Teil „Maxxxine“ zeigen, der in den 1980er Jahren spielt. Neben Goth hat Ti West ein wirklich namhaftes Ensemble versammelt. Mit dabei sind Elizabeth Debicki, Moses Sumney, Michelle Monaghan, Bobby Cannavale, Lily Collins, Halsey, Giancarlo Esposito und Kevin Bacon. (programmkino.de)Ausblenden