Chronique d´une liaison passagère – F 2022, 102 Min. Regie: Emmanuel Mouret
mit Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne, Georgia Scalliet
Die verspielte, in Frühlingsfarben getauchte Geschichte einer "Amour Fou" - in einer Melange von Woody Allen und Eric Rohmer
Weiterlesen...Am Freitag, dem 28. Februar geht es los: Charlotte und Simon, die sich kurz zuvor kennengelernt haben, sehen sich wieder. Im Getümmel einer voll besetzten Bar kommt Charlotte praktisch sofort zur Sache: Sie will Sex, und zwar jetzt. Simon ist geschockt, schließlich hat er Frau und Kinder, aber er macht gerne mit, auch wenn ihn Charlotte mit ihrer provokanten Art ziemlich verunsichert. 14 Tage später treffen sie sich erneut. Die Abstände zwischen ihren Rendezvous werden kürzer, ihre Gespräche immer offener. Der Sommer kommt und geht, beide werden mutiger. Aber werden sie ihr Vorhaben realisieren können, auf Dauer eine unverbindliche Beziehung zu führen? Und ist das überhaupt erstrebenswert? Sex ohne Risiko, aber mit einem festen Partner – davon träumt Charlotte, die schon oft enttäuscht wurde und glaubt, sie habe in Simon den perfekten Mann für ihre Pläne gefunden. Da er selbst gebunden ist, besteht keine Gefahr, dass er zu klammern beginnt. Und weil er alles andere als ein Macho ist, muss sie nicht damit rechnen, dass er sie egoistisch ausnutzt. Sandrine Kiberlain spielt die Charlotte als souveräne Frau mit einer leicht ironischen Attitüde. „Keine Fragen, keine Luftschlösser“, lautet ihre Devise. Manchmal erinnert sie in ihrer natürlich burschikosen Art stärker an die junge Diane Keaton als Diane Keaton selbst, wie eine moderne Annie Hall, nur ohne Neurosen. Der Film hat aber doch einiges mit dem „Stadtneurotiker“ gemeinsam, vor allem die Grundlage: ein Paar aus der intellektuellen Szene einer charismatischen Stadt, das schnelle, geistreiche Dialoge wechselt. Vincent Macaigne als Simon ist wie Woody Allen ein kleiner Mann mit schütterem Haupthaar – der denkbar größte Gegensatz zu der lässig eleganten, etwas schlaksigen Charlotte. Er ist ein liebenswerter Tollpatsch und generell ein bisschen verpeilt. Einmal sagt er sinngemäß, Charlotte müsse wohl sehr barmherzig sein, weil sie mit ihm schläft. Das zeugt nicht gerade von Selbstvertrauen. Aber davon bringt die coole Charlotte so viel mit, dass es für zwei reicht. Auch wenn die beiden zu Beginn nicht so wirken, als seien sie füreinander geschaffen, gibt es immer mehr, was sie vereint. Der Sommer vergeht, sie genießen gemeinsam das Leben, den Sex und die Unverbindlichkeit ihrer Beziehung, die alles ist außer ernsthaft. So sollte es jedenfalls sein. Emmanuel Mouret inszeniert geschickt eine Geschichte, die – wiederum ähnlich wie bei Woody Allen – auch von der natürlichen Ausstrahlung und dem intelligenten Humor der Protagonisten lebt. Neben der Situationskomik, die hier deutlich dezenter ausfällt, gehört die beobachtende Kamera zum Stadtneurotiker-Package. Sie wartet manchmal schon auf die beiden, es gibt wenige Fahrten und seltene Nahaufnahmen, dafür Schattenrisse und ungewöhnliche Bildausschnitte, ähnlich wie in einem Dokumentarfilm, in dem Bildführung und Licht nicht immer kontrollierbar sind. Doch im Gegensatz zu Woody Allens Pärchen sind Charlotte und Simon zwei beinahe erschütternd normale Menschen, die weder laut werden noch überhaupt zu dramatischen Aktionen neigen. Stattdessen sind sie fast immer in Bewegung, was zu ihrer Beziehung gehört wie die ständigen Gespräche, die sie genauso verbinden wie der Sex, um den es ihnen eigentlich geht. Mouret verzichtet allerdings mit voller Absicht auf die Darstellung von Liebesszenen. Stattdessen setzt er auf pointierte Dialoge, die strömen und fließen wie ein Bächlein und manchmal schäumen wie ein Wasserfall. Der Tagebuchcharakter des Films, der immer wieder über Einblendungen betont wird, impliziert aber auch: Irgendwann wird all das ein Ende haben. Die spannende Frage aber lautet: was für ein Ende? (programmkino.de)Ausblenden
So. 19:00
INSIDE DF
GR/GB/B/D 2023, 105 Min. Regie: Vasilis Katsoupis
mit Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck
In der Falle: Eine klaustrophobische One-Man-Show mit Willem Defoe auf Survival-Trip im Luxus-Appartement
Weiterlesen...Survival-Dramen und -Thriller sind üblicherweise an abgelegenen Orten, etwa auf einer einsamen Insel wie in „Cast Away“ (2000), oder in extrem lebensfeindlichen Umgebungen, zum Beispiel in einer verschneiten, bitterkalten Winterlandschaft wie in „The Revenant“ (2015), angesiedelt. „Inside“, das Langfilmdebüt des 1977 in Volos, Griechenland geborenen Regisseurs Vasilis Katsoupis, schildert ebenfalls einen harten Überlebenskampf – jedoch in einer Luxuswohnung, mitten in einer Großstadt. Das Drehbuch von Ben Hopkins, das dieser nach einer Idee von Katsoupis verfasst hat, erzählt vom Profi-Einbrecher und Kunstdieb Nemo (Willem Dafoe), der im New Yorker Penthouse eines gerade für längere Zeit verreisten, renommierten Sammlers ein paar Gemälde von Egon Schiele stehlen will. Von seinen Komplizen wird er per Helikopter abgesetzt; die Alarmanlage ist rasch überlistet. Aber dann bewirkt das hochmoderne Sicherheitssystem plötzlich, dass alle Ein- und Ausgänge verschlossen werden, ehe es gänzlich zusammenbricht. Der Kontakt zu Nemos Leuten reißt ab – und der Dieb muss erkennen, dass er in einem goldenen Käfig gefangen ist, in dem das Wasser abgestellt ist und die Nahrungsmittel knapp sind. Welche Gegenstände würden wir aus unserem Zuhause retten, wenn dieses in Flammen stünde? Diese Frage rahmt den Film – zusammen mit Überlegungen über den Wert von Kunst, die „für immer“ bliebe, und über den Zusammenhang von Schöpfung und Zerstörung. Der Protagonist ist umgeben von Kunstwerken und schönen Dingen, von Designermöbeln, die in der vertrackten Situation des Helden indes all ihre Absurdität offenbaren. Verfaulte Orangen auf dem Tisch erweisen sich etwa als schwere Kugeln, die das Natürliche, Vergängliche nachahmen sollen. Der Kühlschrank spielt beim Öffnen derweil den Song Macarena von Los del Río; er spricht als künstliche Intelligenz gar mit Nemo und empfiehlt ihm einen lecker-gesunden Mint-Smoothie. Die Tonebene von Inside ist in vieler Hinsicht bemerkenswert – vom ohrenbetäubenden Geräusch der Alarmanlage, als das System zu Beginn außer Kontrolle gerät, bis hin zu den Lauten der Aircondition, die dazu beitragen, dass wir die zunehmende Hitze in der Wohnung spüren. Es gelingt Katsoupis und seinem Kameramann Steven Annis, die Klaustrophobie erzeugende Atmosphäre perfekt einzufangen, die trotz des Panoramablicks über die New Yorker Skyline herrscht. Nicht zuletzt ist dies der hingebungsvollen Leistung von Willem Dafoe zu verdanken, der hier ein Paradebeispiel für intensives Körperkino liefert. Nemo leckt gierig das Eis aus dem Gefrierfach, wird in seinem Kampf ums Überleben immer kreativer und geht parasoziale Beziehungen zu dem Rezeptionisten und der Reinigungskraft ein, die er über Monitore der Überwachungskamera beobachten kann. Inside wird so zu einer beeindruckenden One-Man-Show und zu einem mitreißenden Kammerspiel – einem kleinen Kunstwerk, das es wagt, unsere Einstellung zu Kunst zu hinterfragen. (kino-zeit.de)Ausblenden